Hirnforscher Henning Beck im Atrium der Stadtwerke
Weniger ist mehr

Weniger ist mehr. Das war, um das berühmte Fragezeichen erweitert, schon einmal ein Herbslese-Motto. Nach dem Abend mit Henning Beck im Atrium der Stadtwerke scheint das Fragezeichen obsolet – zumindest wenn es um das menschliche Hirn geht, stimmt diese Aussage. Und wenn man dem Hirnforscher da oben auf der Bühne Glauben schenken mag.
Das ist nämlich das eine Problem. Nur noch wenige Menschen wissen heute noch auf einigen Gebieten wirklich etwas. Meistens sind die meisten darauf angewiesen zu glauben, was man ihnen erzählt. Oder nicht. Entscheidend ist oft, mit welchem Nachdruck Dinge behauptet werden. Die Werbung nutzt das schamlos aus.
Die, die etwas wissen, wissen sich oft nicht mitzuteilen. Das hat damit zu tun, dass viele Wissenschaftler einen Horror vor der Simplifizierung ihrer Ergebnisse haben. „Je einfacher, desto falscher“, nennt Henning Beck das. Dennoch hält es den Hirnforscher nicht davon ab, die Menschen an den Erkenntnissen seines Fachgebietes zu beteiligen. Oder anders ausgedrückt, sie gegen all das zu wappnen, was ihnen clevere Verkäufer als „wissenschaftlich erwiesen“ und damit den Verkauf fördernd unterjubeln möchten.
Neuromythen nennt der 30-Jährige merkwürdige Dinge, die über das Gehirn im Umlauf sind. Die manchmal völlig an der Sache vorbeigehen (der Mensch hat eine logische und eine kreative Hirnhälfte) oder doch nicht ganz verkehrt sind (es gibt Unterschiede zwischen den Gehirnen von Männern und Frauen). Mit Hilfe von witzigen Zeichnungen und Fotos, die ein Beamer auf eine große Leinwand projiziert, räumt er mit den Mythen auf oder stellt sie klar. So ist es durchaus richtig, dass Fußballer bei zu vielen Kopfbällen Nervenzellen verlieren, aber, so Beck, das schadet nicht wirklich. Und erklärt auf alle Fälle nicht die Defizite, die der eine oder andere Kicker bei der Kopfarbeit jenseits des Rasens haben mag. Ähnlich ist es mit dem Vollrausch, der bestimmt nicht empfehlenswert, aber für das Hirn an sich doch eher ungefährlich ist.
Die verblüffendste Aussage des Abends bleibt dennoch das „Weniger ist mehr“. Radikal wird in unserem Oberstübchen ausgemustert, was nicht wirklich gebraucht wird. Wovor sich der Messi in jedem von uns fürchtet, setzt das Gehirn gnadenlos um. Der verschlankte Rest kommt zusammen weit besser klar. Hoffentlich lesen das Buch keine Unternehmensberater, und ziehen daraus falsche Schlüsse, mag man denken, und Hirnforscher Beck denkt ähnlich; Vergleiche sind schwierig, so sein Credo, die „kleinen grauen Zellen“, die unsere „Festplatten im Kopf“ bilden, sind Paradebeispiele dafür.
Der ganze Vortrag kommt ungeheuer temporeich daher. Klar hat der promovierte Wissenschaftler auch einige Gags eingebaut, meistens sind die Themen aber so spannend, dass er auf billige Effekte verzichten kann. Denn: Wer wollte nicht wissen, wie man sich klug essen kann oder seine Multitasking-Fähigkeiten erhöht? Letztere natürlich zwei Beispiele für hirnrissige Mythen – meint Henning Beck.
Mit sechs dieser Mythen, ein jeder davon als sein absoluter Lieblings-Mythos angekündigt, setzt sich der Vortragende ausführlich auseinander. Für die andern 14 und einen halben verweist er nach einem sehr unterhaltsamen Abend auf sein Buch, dessen Lektüre auf diesem Wege nur empfohlen werden kann.
Weniger ist mehr
Fotos: Holger John