Geld ist nicht alles

„Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. D‘rum nähme ich den Stock und Hut und tät das Reisen wählen“, reimte Matthias Claudius vor zwei Jahrhunderten.
Landolf Scherzer reiste vergangenes Jahr gleich zweimal nach Griechenland. Umso mehr kann er jetzt von Land und Leuten erzählen. Er macht das auf seine Art – er schreibt ein Buch darüber. In der Bibliothek am Erfurter Domplatz stellt er das neue Buch vor. „Stürzt die Götter vom Olymp – Das andere Griechenland.“
Er beginnt mit seinem ersten Trip in ein 5-Sterne-Hotel. Alles ist dort inklusive, sogar inklusive plus. Plus steht dafür, dass am Abend der Kühlschrank im Zimmer noch einmal mit Alkohol aufgefüllt wird, als würde es den an diversen Bars, Speisesälen und selbst am Strand nicht schon im Überfluss geben. Es ist nicht der einzige Überfluss, der Landolf Scherzer zum Grübeln bringt.
Er erlebt in seinem Hotel, wie Gäste und Kellner halbvolle Teller in den Abfall entleeren, wie volle Gläser gebracht werden, obwohl noch genug auf den Tischen steht. Er registriert die Angestellten aus dem Baltikum und aus Rumänien, deren Service nur die Hälfte im Vergleich zu einheimischen Kräften kostet. Landolf Scherzer begreift, dass er hier nicht im wahren Griechenland gelandet ist, selbst Tsatsiki wird mit Rücksicht auf die deutschen und englischen Gäste ohne Knoblauch angemacht.
Seine Ausflüge in die Umgebung sorgen für mehr Fragen als Antworten. Wie kommen die Griechen mit dem wenigen Geld aus, das dem Staat geblieben ist, um seine Bediensteten zu bezahlen? Wie reagiert man außerhalb der Hotelmauern auf einen Deutschen, einen Landsmann von Merkel, Schäuble und Genossen? Hat das Land noch eine Chance, sein Schicksal wieder selbst zu bestimmen?
So reist er Monate später noch einmal in die Gegend. Sein Quartier in Thessaloniki liegt nicht in einem Vorzeige-Stadtteil. Das Hotel, ausgerechnet „Europa“, ist ein Stundenhotel. Als er schlafen möchte, legt ein paar Häuser weiter eine Diskothek richtig los; die Bässe aus ihren Boxen treiben ihn auf die Straße.
Doch was für andere – gerade im Urlaub – eine Zumutung ist, sieht er als Chance. Er beobachtet, sieht, was auf der Straße vor sich geht. Er weiß um das wenige Geld, das die Menschen noch haben, und blickt doch auf proppenvolle Cafés. Er spricht mit den Menschen, im Mix aus allerlei Sprachen und immer wieder auch mit den Händen. Er beginnt zu verstehen.
Landolf Scherzer ist kein Mensch der Zahlen. In seinem Buch kommen sie meist als Zitate daher, als Teil seiner Gespräche. Der eine erzählt ihm dies, der andere das, daraus erwächst ein vages Bild. Es sind nicht die Antworten, die für Einsichten sorgen. Seine Sache sind die Fragen.
So zeichnet Landolf Scherzer das Bild eines Landes, dessen Bewohner Kummer gewöhnt sind. In dem die Korruption allgegenwärtig ist, egal, ob es um ein kleines Geldbriefchen für den Arzt oder um Millionen im Straßenbau geht. Wo es Tradition ist, dem Staat zu misstrauen und zunächst an sich selbst zu denken. Ein Land, trotz allem voller Hoffnung und Stolz: „Wir Griechen werden es schon schaffen!“ Nicht zuletzt ein Land der Familie, wo einer für den anderen einsteht, wo die Solidarität zu Hause ist.
Es ist, da ist sich Landolf Scherzer ganz sicher, kein verlorenes Land.