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Erfurter Herbstlese
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März 16 2015

Steffen Möller im Haus am Breistrom

Reiseführer mit Nebenwirkungen

Denn was sich liebt, das neckt sich: Steffen Möllers Scherze über sein Polen künden von großer Zuneigung.
Denn was sich liebt, das neckt sich: Steffen Möllers Scherze über sein Polen künden von großer Zuneigung.

„Viva Warszawa. Polen für Fortgeschrittene“ heißt das Buch, mit dem Steffen Möller bei der Frühlingslese zu Gast ist. Doch sein Auftritt am Samstag im Haus am Breitstrom beginnt zunächst unter dem Motto „Wiederholen und festigen“. Denn Möller startet seinen Polen-Unterricht wie die Lektion, die er schon einmal zu Zeiten seines ersten Bestsellers „Viva Polonia“ dem Publikum erteilte. Aber wen stört es? Der Saal ist voll, und die Zuhörer amüsieren sich bestens bei den Geschichtchen des Wuppertalers aus der Zeit seiner ersten Kontaktaufnahme zu Polen, oder besser zur alten polnischen Hauptstadt Krakau.

Dzien dobry, dziekuje, przepraszam. Nach gut 40 Minuten sind wir dann doch in der Hauptstadt. Denn mit „Viva Warszawa“ will Steffen Möller den Deutschen genau diese Stadt an der Weichsel näher bringen, die selbst bei den Polen als hässlich, und grau, also als schlicht unbesuchbar gilt. Beharrlich, beharrlich, denn es ist bereits das dritte Buch, mit dem der deutsche Serienstar im polnischen Fernsehens gen Osten lockt.

Möller lässt nichts auf seine Wahlheimat kommen. Und das, obwohl ihm es diesmal besonders viel Freude zu bereiten scheint, die Schrulligkeiten seiner Polen zu beschreiben. Etwa das ewige Schimpfen auf die Heimat. „Im Zentrum passt doch nichts zusammen, keine Ordnung kein Plan . . ., Reklame-shit an jeder Wand, das Zentrum ein Dorf“, zitiert er im Buch seinen Freund Rysiek, einem stolzen Ur-Warschauer – der aber lieber erstmal nach Berlin gezogen ist. In diesem Stil berichtet Möller von Taxifahrern, seinen Nachbarn, Handwerkern und Freunden, die bei allem Gezeter ihre Stadt doch lieben. 

Die kleinen Anekdoten und Beschreibungen sind mit einem Augenzwinkern erzählt und treffen bestens die Mentalität unserer Nachbarn. Möller entführt uns an Orte, die tatsächlich zeigen, dass Warschau sich in den letzten Jahren zu einer spannenden Metropole entwickelt hat. Unverkennbar mit einem Hauch urpolnischer Selbstironie beschreibt er seine Erlebnisse, zu denen auch schon einmal die Abzocke bei einer Taxi-Fahrt zählen kann.

Diese Episode wird denn auch in der Lesung zum Brüller. Ist doch der Fahrer eine Art umgeschulter Ex-Taxifahrer, der nun auf Psychotherapeut mit fahrender Praxis macht. Der Pole versteht es eben zu „kombinieren“, ein Wort, das eine geschäftstüchtige Schlitzohrigkeit beschreibt.

Der Autor scheut sich auch bei solch eher heiklen Themen nicht, Tipps zu geben, wie ein Polen-Reisender mögliche Fallstricke im Alltag erkennen kann. Bekannt aus seinen früheren Büchern, aber auch bewährt, sind dazu die Einschübe in Heimatkunde, die aus dem Buch tatsächlich einen unterhaltsamen Reiseführer machen.

Tatsächlich nennt er hinter jedem authentischen Ort auch die Adresse. So findet der in Kürze vielleicht wagemutige Urlauber nicht nur den viel gepriesenen Lazienki-Park oder den Kulturpalast, sondern auch die Bäckerei, die einzig und allein Pfannkuchen bäckt und verkauft – und lieber früher schließt, als sich auf waghalsige Experimente wie ein zweites Produkt einlässt.

Nebenher und zumeist geschickt verpackt, lernt der Leser eine Reihe polnischer Künstler (neu) kennen. Den alten Frederyk Chopin, dem Möller etliche Seiten widmet, oder den jungen Star-Pianisten Krystian Zimermann.

Bei aller Leichtigkeit umgeht Möller aber auch nicht die schwarzen Kapitel der Stadtgeschichte. Die Zeit der Besatzung während des Zweiten Weltkrieges etwa, als die jüdischen Einwohner der Stadt erst ins Ghetto gepfercht und dann zum großen Teil ermordet wurden. Oder den Warschauer Aufstand, eines der Schlüsselereignisse für Polen mit Nachwirkungen. So bietet „Viva Warszawa“ einen Blickwinkel, aus dem viele Deutsche die Geschichte bisher gewiss nicht sahen. Das Thema umgeht er auch in der Lesung nicht. Doch ob des eher heiter angelegten Abends bleibt es eher beim Hinweis auf das Buch.

Vor Publikum schlägt eben durch, was auch Möllers Erfolg in Polen ausmacht: Es ist der Erz-Kabarettist, der durch Städte und Dörfer zieht. Auch in Erfurt gelingt es ihm bestens, seine Zuhörer zu unterhalten. Dafür hätte es des selbst gestrickten Polen-Schlagers am Ende gar nicht mehr bedurft.

Steffen Möller im Haus am Breitstrom

Fotos: viadata

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