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Okt. 26 2019

Heinrich Steinfest erfreut mit einem neuen Cheng-Fall sein Erfurter Publikum

Schlaflos in Erfurt

Versprechen gehalten: Nach drei Jahren präsentiert Heinrich Steinfest seinem Erfurter Publikum tatsächlich den jüngsten Cheng.
Versprechen gehalten: Nach drei Jahren präsentiert Heinrich Steinfest seinem Erfurter Publikum tatsächlich den jüngsten Cheng.

Von Sigurd Schwager

Am Ende der Lesung in Erfurt wird Heinrich Steinfest, der gerade seinen preisgekrönten Roman "Das Leben und Sterben der Flugzeuge" vorgestellt hat, das Unvermeidliche gefragt: Ob man denn auf einen neuen Fall für Markus Cheng hoffen dürfe, diesen eigenwilligen einarmigen Wiener Privatdetektiv chinesischer Herkunft, den man schon viel zu lang vermisse. Die bejahende Antwort des Dichters nimmt das Publikum mit höchstem Wohlgefallen zur Kenntnis und dankt dem Autor lautstark mit vorfreudigem Applaus.

So geschehen im Herbst 2016. Drei Jahre später, im Oktober 2019, kehrt der in Australien geborene, in Wien aufgewachsene und heute in Stuttgart lebende Österreicher Heinrich Steinfest zurück nach Erfurt, um im ausverkauften Haus Dacheröden sein eingelöstes Versprechen vorzustellen. 20 Jahre nach dem ersten Cheng-Roman und neun Jahre nach dem vierten Fall beglückt der Autor die Fangemeinde mit dem fünften Buch „Der schlaflose Cheng“.

Sich in Erfurt an die Cheng-Anfänge erinnernd erzählt Steinfest, dass er damals keineswegs die Absicht hatte, daraus eine Serie zu machen. Doch zum Glück für die geneigte Leserschaft ist es dann doch anders gekommen. Die besonnene Herbstlese-Programmchefin Monika Rettig nennt den geistvollen Detektivroman Steinfest‘scher Prägung mit guten Gründen einen einsamen Leuchtturm im Meer der Krimis.

In der Tat sind sich alle Rezensenten von „Der schlaflose Cheng“ wieder einmal einig, dass Steinfest und seine Detektiv-Figur Ausnahmeerscheinungen in der deutschsprachigen Kriminalliteratur sind. Zu den größten Bewunderern gehört übrigens Herbstlese-Dauergast Denis Scheck, der seinerseits einen Kurzauftritt im fünften Cheng-Krimi hat: Als ein Mann, der nicht nur als „fabelhafter Literaturlober und Literaturwarner“ gelte, sondern auch als ein „begabter Koch“.

Der fabelhafte Schreiber sowie begabte Plauderer und Vorleser Heinrich Steinfest zieht das Erfurter Publikum sofort in seinen Bann. Der Übergang von freier Rede zum gelesenen Wort und wieder zurück ist dabei fließend. Man lauscht und genießt: „Cheng betrat den Frühstücksraum und nahm Platz. Da bemerkte er den Blick der Frau. Wobei der Blick weniger ihm selbst galt, sondern dem Hund an seiner Seite. Der Hund, der zu seinen Füßen lag und sich wie eine schläfrige Schnecke zusammengerollt hatte. Ein Hund freilich, der schon lange tot war. Es geschah selten, aber es geschah, dass Menschen, wenn sie zu Cheng schauten, für einen Augenblick diesen Hund an seiner Seite wahrzunehmen schienen...“

Natürlich weiß der Cheng-kundige Leser, dass es sich hier nur um den vor vielen Jahren hochbetagt entschlafenen Hund namens Lauscher handeln kann. Und wenige Zeilen später kommt auch Chengs fehlender linker Arm ins Spiel, der im Zuge eines schweren Sturzes in einer Gletscherspalte verblieb. Der schöne Text, aus dem der Autor vorliest, trägt die ebenso schöne Kapitelüberschrift „Der Mann, der bis zehn zählte, sich aber entschied, dass bis fünfzehn auch in Ordnung wäre“.

Nachdem Steinfest dem Saal von seinen eigenen Erfahrungen beim Nachrichten-Fasten berichtet hat, trägt er eine Buchpassage vor, in der sich Cheng für einen zeitweiligen Verzicht auf Nachrichten entscheidet. Umso wichtiger wird dessen Sekretärin: „Frau Wolf war eine mittelgroße, etwas mollige Parson mit slawischen Wurzeln, deren Mimik gekonnt zwischen Strenge und Freundlichkeit wechselte. Es bot sich an, ihr nicht dumm zu kommen, sondern gescheit. Man könnte auch sagen, sie besaß alle Eigenschaften einer Erzieherin. Selbst wenn sie jemandem aus dem Mantel half, erzog sie ihn...“

Von der eigentlichen Handlung erfährt man an diesem Abend natürlich nur so viel, dass die Spannung erhalten und die Lust am eigenen Nachlesen wach bleibt. Cheng lernt auf Mallorca den Schauspieler Peter Polnitz kennen, der die deutsche Synchronstimme des englischen Hollywoodstars Andrew Wake ist. Ein Jahr später wird wird jener Polnitz wegen Mordes an Wake zu lebenslanger Haft verurteilt. Ein neuer Fall für Cheng. nimmt seinen Lauf. 

Trotz Mord darf bei Steinfest wie immer auch viel gelacht werden. Was auch reichlich geschieht im Hause Dacheröden. Das Finale der kurzweiligen Veranstaltung hält dann noch eine kleine Überraschung bereit. Nach dem fünften Cheng ist vor wenigen Tagen das nächste Buch von Heinrich Steinfest erschienen, das er ebenfalls nach Erfurt mitgebracht hat: eine „Gebrauchsanweisung fürs Scheitern“.

Eigentlich, sagt Steinfest, wollte er eine Gebrauchsanweisung für das Leben nach dem Tod beziehungsweise für die Reise dorthin schreiben. Doch an einem solchen Werk habe bereits der Kabarettist Bruno Jonas gearbeitet. Dann also eine Gebrauchsanweisung für das Diesseits. Denn „Mit dem Gefühl des Scheiterns - zumal als sterbliche Wesen - werden wir bereits geboren und reagieren mit verständlicher Empfindlichkeit auf alles, was dieses Gefühl bestätigt.“

Im menschlichen Scheitern stecke eine ungeheure Komik, eine befreiende Kraft des Negativen. Der Autor liest lustvoll daraus ein ziemlich lustiges Stück vom Scheitern an einer Frittatensuppe.

„Die Welt ist Scheitern. Der Mensch ist Scheitern.“ Schreibt Steinfest. Genau davon handeln seine beiden jüngsten Bücher. Wenn man den Beifall als Gradmesser nimmt, muss man sich um deren Erfolg keinerlei Sorgen machen. Offen bleibt auf dem Heimweg nur eine Frage, an der man zu scheitern droht: Welchen neuen schönen Steinfest liest man nun zuerst? 

Heinrich Steinfest im Haus Dacheröden

Fotos: Holger John / VIADATA

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