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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
Okt. 19 2013

Über die Unmöglichkeit des Vergessens

Adriana Lisboa im Haus Dacheröden. Bild: Holger John / viadata
Adriana Lisboa im Haus Dacheröden. Bild: Holger John / viadata

Mit der Veranstaltung am Freitag Abend im ausverkauften Haus Dacheröden hat die Herbstlese das diesjährige Gastland Brasilien der Frankfurter Buchmesse nach Erfurt geholt. Zu Gast war die 1970 in Rio de Janeiro geborene Adriana Lisboa, von der bereits fast ein Dutzend Bücher vorliegen - Romane, Erzählungen, aber auch Kinderbücher - und die zu den wichtigen lateinamerikanischen Autoren zählt. Die deutschen Leserinnen und Leser haben allerdings erst seit dem Spätsommer die Möglichkeit, diese überaus interessante literarische Stimme für sich zu entdecken: "Der Sommer der Schmetterlinge" ist der erste Roman von Adriana Lisboa, der in deutscher Übersetzung vorliegt.

Adriana Lisboa stellt ihn im Haus Dacheröden zusammen mit ihrem deutschen Verleger René Strien (Aufbau Verlag) vor, der sie als Kosmopolitin einführt: Adriana Lisboa ist schon als junge Frau viel und weit gereist, sie lebt in Frankreich und Japan, bevor sie sich in den USA niederläßt. Die Themen ihrer Bücher werden, so die Autorin im Gespräch, das auf Englisch geführt wird, mit dem wachsenden Abstand zur Heimat allerdings eher "brasilianischer". Die Distanz bewirkt also keine Entfremdung, sondern eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Heimatland. Das ist auch im "Sommer der Schmetterlinge" so - ein Buch, das Adriana Lisboa schon vor über 10 Jahren geschrieben hat und das von den Schwestern Clarice und Maria Ines erzählt. Sie sind Kinder, als sich 1964 in Brasilien das Militär an die Macht putscht. Nach langen Jahren der Trennung und des Schweigens ist ein Wiedersehen auf dem Land geplant, da, wo sie aufwuchsen. Mit der Vorbereitung auf dieses Treffen setzt bei beiden ein Prozeß der Erinnerung ein, der die komplexe Struktur des Romans vorgab, erzählt Adriana Lisboa, denn: Menschliche Erinnerung verläuft nicht linear, und deshalb gehorcht ihr Buch einem "geplanten Chaos" mit zahlreichen Rückblenden, verschiedenen Zeitebenen. Ihr Roman sei ein Buch über Kindheit, die absolute Verletzlichkeit von Kindern, die sie nach der Geburt ihres eigenen Sohnes überdeutlich gespürt habe. In dieser Zeit ist "Der Sommer der Schmetterlinge" entstanden. Die beiden Schwestern Clarice und Maria Ines nähern sich wieder ihrer Kindheit an, in der nicht nur die äußere, politische Gewalt, sondern auch die innere Gewalt in der Familie, die der Vater ausübte, beschwiegen wurde, zu den "verbotenen Dingen" gehörte. Sie stellen sich den Verletzungen der frühen Jahre, die nie ganz vergessen werden, auch wenn die Narben äußerlich verheilt sind.

Die atmosphärisch dichte und wortmächtige Erzählkunst Lisboas wird in den Passagen spürbar, die die Erfurter Schauspielerin Katrin Heinke in großartiger Manier vorträgt.

Dass Adriana Lisboa das Publikum fesselt und beeindruckt, zeigt sich auch an den zahlreichen Fragen, die im Anschluss an Lesung und Gespräch gestellt werden. Die letzte führt dann zu einem ebenso schönen wie bemerkenswerten Schlusspunkt des Abends: Ob Adriana Lisboa, die auch ausgebildete Musikerin ist, noch als Musikerin arbeite und ob sie nicht ein Lied singen könne? Die äußerst sympathische Autorin ziert sich gar nicht und erfüllt den Wunsch.

Ein intensiver und gelungener Abend, für den wir Adriana Lisboa, Katrin Heinke und René Strien, aber auch dem tollen Publikum der Erfurter Herbstlese sehr danken!

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