Um was es wirklich im Leben geht

Bei der Vorstellung von „Wie im richtigen Film“ saß Yvonne 2011 bei der Herbstlese noch im Publikum, jetzt steht sie mit auf der Bühne. Wie groß ist ihr Anteil an „Luftholen“?
Yvonnes Anteil an „Luftholen“ reduziert sich auf die erfreuliche Tatsache, dass sie mir bei dieser Schauspielerlesung tatkräftig zur Seite steht. Schauspielerlesung deshalb, weil wir mehr spielen als lesen.
Sie stehen beide in der Öffentlichkeit, gibt es da in der Beziehung so etwas wie Wettbewerb?
Nein. Wir sind beide lange genug dabei, um zu wissen, dass sich Künstlerkarrieren wie Aktienkurse verhalten. Zyklisch und - wenn Potential vorhanden ist - nach oben zeigend. Jeder macht seins und, ganz selten, so wie dieses Mal in Erfurt, guckt die eine beim anderen rein.
Als Stars werden Sie viel über Äußerlichkeiten wahrgenommen; so bekäme Yvonne mit kurzen Haaren wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit als ein von ihr geschriebenes Buch . . .
. . . alles hat sein Publikum. Bei mir interessieren sich die Leute noch mehr für meine Bücher als für meinen Haarschnitt. Bei meiner Frisur käme mir übermäßiges Interesse auch ein wenig bizarr vor.
Beim Lesen macht sich jeder sein eigenes Bild von den handelnden Personen. Irgendwie sehe ich immer Sie, wenn vom Haupthelden Josch die Rede ist. Das Los des Schauspielers?
Wie kommen Sie darauf? Ist es nur mein Gesicht, dass sie aus dem Fernsehen kennen, was ihr Unterbewusstsein veranlasst, mich zum Protagonisten zu machen oder denken Sie, die Angst, die Aggression von Josch, seine Unfähigkeit, Gefühle zu äußern, der Verlust, seine Form zu lieben, hätten etwas mit mir zu tun? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Wenn ich mir alle Fragen, die Josch ans Leben stellt, hätte beantworten können, hätte mir wohl die Motivation gefehlt, dieses Buch zu schreiben.
Würden Sie sich in einer Verfilmung selbst spielen?
Es soll verfilmt werden und aktuell sind wir auf der Suche nach einer passenden Besetzung.
Joschs Geschichte ist eher eine traurige. Er fühlt sich von der Welt nicht verstanden – und tut doch einiges dazu, dass es nicht besser wird. Wo kommt dieser pessimistische Grundton des Buches her?
Ob der Grundton pessimistisch ist, hängt von der Betrachtungsweise ab. Es passieren schreckliche Dinge, aber letztlich kommt es darauf an, was man aus den Ereignissen macht. All meine Figuren, die ich bisher als Autor erfunden habe, beschäftigt mehr oder weniger die Frage, um was es eigentlich wirklich im Leben geht. Und Josch und Maria im speziellen, den Protagonisten in "Luftholen", habe ich alles genommen, was ihnen Sicherheit versprochen hat. Maria ihr Augenlicht, Josch seinen Ruf, sein Kind, seine Existenz. Die Reise, auf die sich die beiden emotional und geographisch einlassen müssen, hielt ich für stark und interessant genug, um sie in einem Roman nachzuzeichnen.
Eine Tote, eine behinderte Freundin, eine strenge Mutter, eine Kind, dass er nicht sehen darf – für Josch kommt es knüppeldick. Aus welchen Verletzungen speist sich seine ungeheure Wut?
Es ist die Angst vor dem Kontrollverlust. Wenn man sein Leben lang alle Konflikte wegdrückt, seinen Verdrängungsmechanismus vor immer höhere Hürden stellt, dann kann es passieren, dass, was einmal ein Kartenhaus war, ein Hochhaus an ungeäußerten Gefühlen und aufgestauten Ängsten wird, welches dann in einer unkontrollierten Wucht auseinander bricht. Ich kenne einige dieser potentiellen Zeitbomben in meinem Umfeld.
Josch versucht, sich allen Verpflichtungen zu entziehen – und macht so alles schlimmer. Hätte er eine andere Chance als diese recht infantile Totalverweigerung? Oder ist er schon längst nicht mehr Herr seines eigenen Schicksals?
Ich sehe das differenzierter. Für mich ist das keine infantile Totalverweigerung. Ich unterscheide zwischen seinem eigenen Anteil der Schuld, den Schuldgefühlen, die ihm zu Unrecht gemacht worden sind und seiner unfokussierten emotionalen Intelligenz. Dass er sich seinen Verpflichtungen entzieht, ist zugegeben eine sehr inaktive Reaktion darauf. Er rettet sich von Tag zu Tag, von Schicht zu Schicht. Er konstruiert sich einen Alltag, um sich selbst zu entkommen. Doch natürlich merkt er, dass es so nicht weiter geht und das Schicksal tut sein Übriges.
Ist das Buch auch ein wenig Gegenentwurf zu Ihrem offenbaren persönlichen Glück?
Verzeihen Sie, wenn ich an dieser Stelle laut loslache. Nein, so einfach ist das nicht. Auch nicht mein Leben, trotz meines Glücks.
Bei „Luftholen“ geht es sehr viel um Wasser. Ihr Element?
Ich habe mich mein ganzes Leben nie weit vom Wasser entfernt. Jeden Morgen blicke ich aufs Wasser, ich bade gerne, mein Sternzeichen ist der Wassermann. In der Hauptlocation des Romans habe ich etliche Sommer verbracht. Ja, man kann sagen, dass das Wasser mein Element zu sein scheint.
Yvonne ist in Thüringen aufgewachsen. Wie oft kommen Sie nach Erfurt, was mögen Sie an der Stadt?
Als Konstanzer entdecke ich vielerlei mittelalterliche Parallelen. Wobei Konstanz etwas unbeschadeter durch die Jahrtausende gekommen ist. Leider hat Erfurt keinen Bodensee. Ich mag Erfurt sehr und verbinde schöne Erinnerungen mit der Stadt. Außerdem scheiterte hier mein letzter Versuch, Vegetarier zu werden - an einer Thüringer Bratwurst.
Oliver Wnuk / Yvonne Catterfeld
11.10.2013 20.00 Uhr
Haus am Breitstrom (Ratsgymnasium)
11,90 Euro (erm. 9,90)