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Erfurter Herbstlese
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März 21 2017

Torsten Ungers „Auf den Spuren von Faust“ im Haus Dacheröden

Von Erfurt nach Moskau

Vor dem Beginn der Lesung: Dr. Unger und Herbstlese-Vereinschef Dirk Löhr.
Vor dem Beginn der Lesung: Dr. Unger und Herbstlese-Vereinschef Dirk Löhr.

Von Sigurd Schwager

Im November 2016 präsentierte MDR-Kulturredakteur Torsten Unger seine Spurensuche „Johann Wolfgang von Goethe in Erfurt“ dem Herbstlese-Publikum. Selbstverständlich ging es dabei auch um den „Faust“ und darum, welche Anregungen der Dichter durch die Erfurter Faust-Sagen für sein berühmtestes Werk erhielt.

Zwei Jahreszeiten später, der Lenz 2017 lässt eben grüßen, ist aus dem Herbstlese- ein Frühlingslese-Publikum geworden, und die eine oder der andere im gut gefüllten Saal am Anger 37/38 wird sich an den Goethe-in-Erfurt-Abend am Anger 62 bei Hugendubel erinnert haben. Denn sein neues Buch, das Dr. Unger druckfrisch vorstellt, wandelt „Auf den Spuren von Faust“.

Wie das Thema darf man in dezenter Übertreibung auch den Autor einen Klassiker nennen, einen Klassiker der Thüringer Leserreihe. Immerhin ist dies bereits sein fünfter Auftritt. Der Ort für die Lesung hätte dabei nicht besser gewählt werden können. Das traditionsreiche Haus Dacheröden, die schöne neue Heimat des Erfurter Herbstlesevereins, ist ein geistig-kulturelles Kleinod der Stadt.

„Kein Fremder von Rang und Bildung“, so steht es in seiner Vita, „verließ Erfurt, ohne das Dacherödsche Haus besucht zu haben.“ Die Humboldt-Brüder waren hier zu Gast, Hufeland und Trommsdorff, Goethe und Schiller sowieso.

Von hier aus sind es nur wenige Schritte, Google hat 290 Meter ausgerechnet, bis zum Faustgässchen, benannt nach einer Wette des Doktor Faust, über die Ludwig Bechstein in seinem Deutschen Sagenbuch schreibt: „Gegen die Mitte der Schlössergasse zu Erfurt geht ein Gäßchen zwischen Häusern durch, so schmal, daß ein Dicker nicht durch kann; das ist Doktor Fausts Gäßchen, und da hindurch fuhr Faustus, als er in Erfurt war, mit einem ganzen Fuder Heu.“

Torsten Ungers Buch, das sich natürlich auch mit diesem sagenhaften Geschehen beschäftigt, ist zweigeteilt. Zum einen werden darin von Bad Kreuznach bis Staufen 13 Orte des historischen Faust besichtigt, zum anderen von Augsburg bis Zwickau 27 Orte des literarischen Faust. Weil dazu auch ein wenig Kartenwerk gereicht wird, könnte man von einem kompakten Faust-Reiseführer sprechen.

Bis heute, sagt der Autor, fasziniere die Figur des Faust als Sinnbild des Suchenden, der sich für seine Suche dem Teufel verschreibe. Wiewohl Faust ein Deutscher sei, gar ein Symbol des Deutschen, habe er weit über Deutschland hinaus gewirkt. „Es gibt nicht nur einen Faust. Faust sind Viele.“

Beim Lesen und Erzählen im Haus Dacheröden hält sich Torsten Unger an die Struktur seines Buches, beginnt mit der realen Figur und dem kleinen süddeutschen Ort Knittlingen, wo Faust vermutlich um 1480 geboren wurde. In einem Brief, von dem heute nur eine (beglaubigte) Abschrift existiert, heißt es, dass in einem Haus neben der heutigen Stadtkirche „allwo Fausten born“ wurde.

Zeitgenössische Faust-Beschreibungen sind das Gegenteil von freundlich. Dieser Mann, lesen wir in einem Brief von 1506, sei ein Landstreicher, leerer Schwätzer und betrügerischer Strolch, würdig, ausgepeitscht zu werden, damit er nicht ferner mehr öffentlich verabscheuungswürdige und der heiligen Kirche feindliche Dinge zu lehren wage.

Vom Süden wechselt Torsten Unger nach Erfurt, wo Faust 1513 gesichtet wurde. Vom Aufenthalt in der Stadt berichtet kurz die Historia Von D. Johann Fausten. Ausführlicheres findet man in Zacharias Hogels Chronica von Thüringen und Erfurt, insgesamt fünf Faust- Erzählungen. Eine davon beschreibt eine Szene, die Goethe später in Auerbachs Keller verlegt. In Leipzig zapft Mephisto Wein aus dem Tisch, bei Hogel in Erfurt macht es Faust.

Es sei kein Wunder, schreibt und spricht in Erfurt der Autor, dass sich Faust in den Zentren des Humanismus - wie Erfurt und Wittenberg - aufgehalten habe, denn vor allem dort war nach Meinung von konservativen Klerikalen der Teufel am Werk. Die Moritat des Doktor Faustus in Zeiten der heraufziehenden Reformation.

Die historische Reise endet, wo sie begann, in Süddeutschland, in Staufen. Hier findet Faust sein grausiges Ende, kundgetan von der Zimmerischen Chronik und dem Melanchthon-Schüler Manlius. Faust wird im Schlafzimmer eines Wirtshauses aufgefunden: „ . . . da ist er neben dem bette tod gelegen gefunden, und hatte jm der Teuffel das angesicht auf den rucken gedrehet.“

Auch den literarischen Teil des Faust eröffnet der vermutete Geburtsort. Dem Volksbuch nach stammt Doktor Faustus, eines Bauern Sohn, aus Thüringen, aus dem heutigen Stadtroda. Von dort aus wandern Torsten Unger und sein Erfurter Publikum mit Goethe nach Leipzig in Auerbachs Keller, dann weiter mit dem Dichter auf den Brocken.

Die nächste Literatour startet im Erfurter Rathaus, wo zwei Faust-Gemälde von Eduard Kaempffer hängen. Ein Bild weist den Weg nach Innsbruck, denn dort lässt Faust vor Kaiser Karl V. Alexander den Großen auferstehen.

Das ausführliche Faust-Finale des Erfurter Lese-Abends findet in Moskau statt. Was nicht wirklich verwundert, hatten doch Gastgeber Dirk Löhr und Gast Torsten Unger eingangs Übereinstimmung bei ihrem Lieblingsbuch festgestellt: „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow, 1940 vollendet und erst 1966 erschienen. Ein Meisterwerk, das man als russischen Faust verstehen kann.

Bulgakow selbst hat sein Buch einen „Sonnenuntergangsroman“ genannt. Aus diesem zitiert Torsten Unger das hell aufscheinende Wort: „Manuskripte brennen nicht.“ Und er fügt zwei Sätze an, die Bulgakow an Stalin schrieb: „Es gibt keinen Schriftsteller, der verstummt. Wenn er verstummt, war er kein wirklicher Schriftsteller.“

Ein starkes Schlusswort. Damit endet im Haus Dacheröden eine intensive Literaturstunde, die Lust macht auf Lesen oder Wiederlesen und auf Entdeckungsreisen.

Das Publikum dankt dem Autor mit herzlichem Beifall.

Torsten Unger im Haus Dacheröden

Fotos: Linnea Müller

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