Jochen-Martin Gutsch und Maxim Leo versichern dem Herbstlese-Publikum „Es ist nur eine Phase, Hase“
Wo die Prostata wohnt . . .
Von Frank Quilitzsch
Das ist schon kurios: Da sitzen vorn zwei Jungspunde, die noch nicht mal die Fünfzig gerissen haben, und erklären dem betagten Publikum, wie es ist, wenn man alt wird. Die Reihen im Erfurter Atrium sind bis auf den letzten Platz gefüllt - vorwiegend mit Damen, nur wenige von ihnen jünger als 50, einige schon über 70 -, ein paar grau melierte Herren sind auch darunter. „Es ist nur eine Phase, Hase“ heißt das Programm (und das Buch), und die Akteure Jochen-Martin Gutsch und Maxim Leo, Kolumnisten der Berliner Zeitung, marschieren zu den Klängen von Karel Gotts „Forever Young“-Hymne ein. „Für immer jung!“ - Gladiatoren im Kampf gegen die Alterspubertät!
Apropos Gott: Natürlich werden wir für Geld bespaßt, doch zugleich im „göttlichen Auftrag“, wie man wortreich wissen lässt. Schnell zeigt sich, dass Leo (48) und Gutsch (46) vorausahnen, was das Publikum seit Jahren umtreibt: Alles, verkünden sie im süffisanten Plauderton, werde mit zunehmendem Alter weniger: die Spann-, die Sehkraft und der Sex - nur das Gewicht nehme zu. Das sind zwar Plattitüden, doch sie kommen gut an. Lustiger wird es, wenn sie wechselseitig von ihren ersten Malen als Altersanwärter berichten: erste Lesebrille, erstes Mal Beischlaf im Dunkeln (weil man da die Falten nicht so sieht), erste Schlafstörungen, erster Wellness-Urlaub usw.
Zum Topthema „Mein erstes Mal beim Urologen“ kann Gutsch noch nichts Substanzielles beisteuern, da muss Vorreiter Leo allein ran. Ausführlich beschreibt er, wie er sich mit heruntergelassener Hose auf der Pritsche zusammenkrümmt und die tastenden Finger des Arztes im Allerwertesten spürt: „Seitdem weiß ich, wo die Prostata wohnt.“ Gutsch kennt dafür den Wohnsitz der Klitoris – „als Jungs wussten wir ja nicht mal, dass es überhaupt eine gibt“. So habe wohl jedes Alter seine Reize, freut sich Leo und nennt Liebesexperte Gutsch einen „Lecki-King“, der Titel wird sich zum Running Gag des Abends fortpflanzen.
Ich möchte kein Spielverderber sein, doch die zunehmenden Schmatz-, Schmier- und Schmuddeleinlagen haben mich - nein, nicht entsetzt, aber gelangweilt. Geht's denn nur noch unter der Gürtellinie? Sind die selbst ernannten Missionare einer freizügig auszulebenden Alterspubertät bereits Opfer ihres Bühnenerfolgs geworden? Müssen sie sich und den Damen und Herren im Publikum irgendwas beweisen?
Maxim Leo, Enkel des Resistance-Kämpfers Gerhard Leo und Sohn der Historikerin Annette und des Künstlers Wolf Leo, hat 2009 mit „Haltet euer Herz bereit“ eine tolle Familienbiografie geschrieben. Jochen-Martin Gutsch hat für seinen Zeitungsessay „Zukunft ist für alle gut“ den Theodor-Wolff-Preis erhalten. Bestimmt ist es nur eine Phase, und die Hasen kommen wieder in die Spur.
Dieser Artikel erschien zunächst am 22. Oktober 2018 in der „Thüringischen Landeszeitung“.
Leo und Gutsch im Atrium der Stadtwerke
Fotos: Holger John