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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
Nov. 19 2018

Der Weimarer Schauspieler trifft im Theater Erfurt Iris Berben, Günther Netzer und Frank Quilitzsch

Herr Thieme, wo sind Sie?

Thomas Thieme at his best.
Thomas Thieme at his best.

Von Sigurd Schwager

„Herr Thieme, wo sind Sie?“

Dieser Satz hat diesen Mann über 17 Jahre und 200 Interviews lang begleitet, gewissermaßen ein journalistischer Feldversuch für das Guiness-Buch der Rekorde.

Also Herr Thieme, wo sind Sie am 18. November 2018? Dort, wo ein Schauspieler hingehört: auf der Theaterbühne. Genauer auf der Bühne der ausverkauften Erfurter Oper. Das Publikum, darunter Familie, Freunde, Weggefährten, ist froh gestimmt - und es wird bekommen, was es sich erhofft. Große Oper. Großes Kino. Großes Theater. Doch immer der Reihe nach. 

Die Herbstlese hat den Weimarer Thomas Thieme, einen der besten Schauspieler unseres Landes, zu einer Buchpremiere eingeladen. Denn nach „Ich Faust“ gibt es nun mit „Ich Hoeneß Kohl“ einen zweiten Band der unterhaltsamen Wo-sind-Sie-Gespräche des Herrn Thieme mit dem Kulturredakteur und Buchautor Frank Quilitzsch, veröffentlicht in der TLZ.

Der Abend findet drei Wochen nach Thiemes 70. Geburtstag statt. All die geflochtenen Lorbeerkränze sind noch frisch und ebenso die Erinnerungen an die tiefen Verbeugungen des Feuilletons vor dem „Theaterschlachtross“, dem „Souverän der künstlerischen Entgrenzung“, dem kolossalen „Wucht- und Kraftschauspieler“, dem „Charakterkopf“.

Bernd Kauffmann kniet in der Thüringer Allgemeinen schreibend nieder: „Die Wahrheit von Thiemes Kunst scheint - im wahrsten Wortsinn - nicht von dieser Welt zu sein.“ Im Geleitwort zu „Ich Hoeneß Kohl“ ruft Kauffmann „Vivat! Vivat! Vivat!“ und nennt Thieme eine Schauspielermischung aus Robert Mitchum, Daniel Day-Lewis, Jean Gabin und Gert Fröbe. Einer wie der Fröbe - so sehen ihn auch seine alten Schulkameraden von der Weimarer Goetheschule, Der Gepriesene selbst erzählt im Buch vom Künstler Thieme als junger Mann: „Ich wollte Marlon Brando werden.“

Eines der schönsten Thieme-Beschreibungen, auch sie ist im Buch nachzulesen, stammt von Iris Berben: „Sie sind ein Mensch - ein richtiger, ein wahrhaftiger Mensch. Mehr geht nicht.“

Die Erfurter Thieme-Festspiele beginnen mit einer netten Überraschung für Thomas den Großen, mit einem A capella-Ständchen seiner Freunde von der Weimarer Band Rest of Best. Es folgt die launige Laudatio von Frank Quilitzsch. Ein bewegtes Leben im Zeitraffer.

Die Kindheit im Nachkriegs-Weimar und die Jugend mit dem Drang zur Bühne. Die goldene DDR-Medaille für hervorragendes Volkskunstschaffen und das Schauspielstudium in Berlin. Die Theaterarbeit in der Provinz und erste Filmrollen. Der Ausreiseantrag und die bittere Zeit danach. Die Ankunft im Westen 1984 und das Glück, in Frankfurt am Main dem Intendanten Adolf Dresen zu begegnen. Der steinige Weg nach oben und die Eroberung der bedeutenden Bühnen von Wien bis Berlin. Die vielen großen Rollen und die Auszeichnung als Schauspieler des Jahres 2000 für seinen Richard III. in Hamburg. Die Rückkehr nach Weimar und der großartige „Faust“ im Nationaltheater, dessen Intendant er fast geworden wäre. Die vielen starken Film- und Fernsehauftritte. Bormann, Strauß, Kohl, Hoeneß, Zörgiebel und demnächst Schalck-Golodkowski, Bischof Krapp, Minister Hempf und Kundschafter Locke, Rosa Roths Kollege Körber und Kommissar Franck.

Der große Thieme, so hat es ein Kritiker auf den Punkt gebracht, sei für jeden Regisseur Herausforderung und Erfolgsgarantie zugleich.

Allein mit der Aufzählung der Rollen, Programme und Hörbücher könnte man ganze Abende füllen. Aber es heißt: Laudatio beenden! Der dritte Thieme-Akt wartet in Erfurt, und mit diesem wird die Buchpremiere endgültig zur Herbstlese-Veranstaltung 2018 mit dem größten Prominenten-Faktor. Frank Quilitzsch bittet nämlich Iris Berben und Günther Netzer auf die Bühne, was zu heftigen Beifallsbekundungen im Saal führt. Die berühmte Schauspielerin, die jeder kennt und der weltberühmte Fußballer tragen mit verteilten Rollen aus „Ich Hoeneß Kohl“ vor, Netzer die Fragen von Quilitzsch und Berben die Antworten von Thieme. Das entfaltet schon nach kurzer Zeit der Eingewöhnung seinen ganz eigenen Reiz. „Herr Thieme, wo sind Sie?“ fragt Vorleser Günther Netzer mit seiner sehr kenntlichen Stimme. „Ich mache Theaterferien“, antwortet die Vorleserin und Vorspielerin Iris Berben. So geht es mal ernst und mal heiter weiter. Das Publikum reagiert mit Schmunzeln, Lachen und immer wieder Zwischenbeifall.

Das Beste aber kommt zum Schluss: der vierte und zugleich längste Akt. Der vom bisherigen Verlauf des Abends zu Szenenapplaus gerührte Jubilar und Menschenfänger Thieme verlässt seinen Stuhl im Parkett und nimmt neben den Vorlesern Platz. „Es wird Sie nicht wundern“, sagt er, „dass ich überwältigt bin.“ Etwas Großartiges sei geschehen."

Das von Frank Quilitzsch souverän moderierte Gespräch ist in seiner gelösten Ernsthaftigkeit Unterhaltung der besten Art. Und das Publikum spielt mit. Wenn von Iris Berbens ungewöhnlicher TV-Rolle als Protokollantin („Ein wunderbares Geschenk für mich.“) die Rede ist, kommentiert es spontan mit Beifall. Genauso geht es Günther Netzer, wenn er mit ironischer Frische die alte Geschichte erzählt: Wie er sich 1973 beim Pokalendspiel in der Verlängerung selbst einwechselte und das entscheidende Tor schoss. Auch von seiner Herz-Operation berichtet der 74jährige. Vom Arzt sei ihm empfohlen worden, spazieren zu gehen und ein wenig Sport zu treiben. Als er dies erfreut seinen alten Kumpels Beckenbauer, Overath und Vogts erzählt habe, hätten sie genickt: „Also alles wie früher.“

Wie einst Netzer und Delling in der ARD werfen sich Berben, Netzer und Thieme in Erfurt die Bälle lässig zu, und auch Quilitzsch trägt seinen Teil bei. Episoden reihen sich wie Perlen auf der Kette. Ausführlich erzählt Thomas Thieme davon, wie das Gretchen vor dem Weimarer Faust-Gastspiel in der Erfurter Oper abhanden kam. Zutage tritt dabei eine Liebesgeschichte hinter der Liebesgeschichte.

Da Thieme auch das Metier der Regie beherrscht, hat er in Erfurt gleich ein paar Besetzungsvorschläge: Iris Berben als Lady Macbeth und Günther Netzer als Faust oder Lear. „Wage es nicht!“ droht ihm der einstige Welt- und Europameister und beste Standfußballer aller Zeiten. Man darf sicher sein, dass der praktizierende Fußballfreund Thieme da nicht locker lassen wird. Den Applaus des Publikums hat er für seine Ideen schon mal sicher.

Auch an besonderen Momenten fehlt es nicht. „Habe nun ach...“ und „Alles Vergängliche ist Gleichnis...“ - wenn Thieme anfängt, leise und eindringlich aus dem Faust vorzutragen, dann wünscht man sich, er möge nicht aufhören. Man kriegt Lust auf Faust und Lust auf Theater.
Die Zeit vergeht wie im Fluge. Das Publikum dankt lang und laut und herzlich dem Quartett auf der Bühne. Und es erhebt sich. Stehende Ovationen für Thomas Thieme. Das kommt auch nicht alle Abende bei der Herbstlese vor.

So endet denn die Buchpremiere wie das Buch: „Bravo! Dem gibt es nichts hinzuzufügen.“

Thomas Thiemes 70. Geburtstag

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