Bernd-Lutz Lange im Theater Erfurt
Zeitensprünge
Von Sigurd Schwager
Der Humorist und bekennende Sachse Bernd-Lutz-Lange, 70, der an diesem Abend Herbstlese-Gast in der dichtgefüllten Erfurter Oper ist, kann auf ein sehr erfolgreiches künstlerisches Leben zurückblicken. Dies gilt sowohl für sein gesprochenes wie auch für sein geschriebenes heiteres Wort. Dennoch ist der wichtigste, weil wirkungsmächtigste Text seines Lebens, das glatte Gegenteil von lustig.
Er hat ihn vor einem Vierteljahrhundert in Leipzig gemeinsam mit dem Gewandhausdirigenten Kurt Masur, dem Theologen Peter Zimmermann und den drei SED-Funktionären Kurt Meyer, Jochen Pommert und Roland Wötzel verfasst. Professor Masur, der Prominenteste der Leipziger Sechs, verlas diesen Aufruf am frühen Abend des 9. Oktober 1989 im Stadtfunk: „Unsere gemeinsame Sorge und Verantwortung haben uns heute zusammengeführt. Wir sind von der Entwicklung in unserer Stadt betroffen und suchen nach einer Lösung. Wir alle brauchen einen freien Meinungsaustausch über die Weiterführung des Sozialismus in unserem Land. Deshalb versprechen heute die Unterzeichneten allen Bürgern, ihre ganze Kraft und Autorität dafür einzusetzen, dass dieser Dialog nicht nur im Bezirk Leipzig, sondern auch mit unserer Regierung geführt wird. Wir bitten Sie dringend um Besonnenheit, damit der friedliche Dialog möglich wird.“
Der Rest ist Geschichte. Auch wenn heute niemand die Was-wäre-wenn-Frage verlässlich beantworten kann, darf man wohl sagen, dass dieser Aufruf zur Gewaltlosigkeit einen entscheidenden Beitrag geleistet hat, dass die Massendemonstration friedlich verlief. Dass kein Blut floss.
Für seinen Anteil daran erhält Bernd-Lutz Lange 25 Jahre und zwei Tage später in Erfurt seinen ersten großen Beifall, denn das Herbstlese-Publikum gratuliert herzlich zum Bundesverdienstkreuz, das ihm am Tag der deutschen Einheit verliehen wurde. Bei aller großer Geschichte, die da durch das große Haus weht, bietet der Abend anschließend natürlich das, was man von ihm vor allem erwarten durfte: eine heitere Reise durch oft ganz und gar nicht heitere Zeiten. Am Flügel begleitet von Rainer Vothel, liest Bernd-Lutz Lange einige Lieblingsgeschichten aus seinen Büchern die er jetzt auf dem Hörbuch „Zeitensprünge“ zum 70. Geburtstag versammelt hat.
Davor, dazwischen und danach plaudert er, hörbar einvernehmlich, mit dem Saal. Der DDR-Wiederkennungs-Effekt ist immer wieder zum Greifen nahe. Das Publikum folgt ihm durch die harten ersten Nachkriegsjahre, begleitet ihn dabei, wie er Kartoffelkäfer vernichtet und damit den Frieden verteidigt. Es wird Teil der deutschen Bande Timur und sein Trupp, leidet mit Lange, wenn er kratzige lange Strümpfe und ein gestricktes Leibchen tragen muss, besucht mit ihm und den anderen Akademixern die Sowjetunion, nimmt seinen Stolz als Pappelpflanzer zur Kenntnis und freut sich mit ihm, wenn er auf dem Bukarester Flughafen am Ende einer grotesken Situation sein D-Mark-Bier und im Gegenzug ein Westdeutscher seinen Lei-Kaffee bekommt.
Und wenn er frühe DDR-Schulbuch-Lyrik zitiert, „Mein Bruder ist ein Aktivist“, dann schallt das Echo aus dem Saal: „Und ich will einer werden.“ - „Ich sehe, es war nicht alles umsonst“, dankt Lange dem Publikum, das auch keinerlei Erklärungen für Abkürzungen wie ABI oder DBD benötigt.
Nachgerade orgiastisch heiter wird es, wenn Lange anläßlich des 25. Jahrestages des Abschieds vom Ostblock-Witz in zwei Zugabe-Blöcken diverse Witze, darunter einige Klassiker, erzählt.Beifall ohne Ende.
Wenn man im Dezember eine Bilanz der Herbstlese 2014 ziehen wird, dürfte dieser Abend wohl als lachintensivster vermerkt werden. Programmchefin Monika Rettig wünscht zum Abschluss, der Kabarettist a. D. Bernd-Lutz Lange möge der Öffentlichkeit als Autor und Vortragender noch lange erhalten bleiben. Dass er in diesem Falle auch wieder nach Erfurt kommen wird, steht außer Zweifel. Denn es staunt der erfahrene Bühnenmann Lange: Nirgends kämen zu seinen Lesungen so viele Menschen wie in Erfurt.
Bernd-Lutz Lange im Theater Erfurt
Fotos: Holger John