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Erfurter Herbstlese
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Nov. 15 2014

Sigrid Damm im Ratsgymnasium

Die reichsten Erinnerungen eines langen Lebens

Ob die Gothaer Ehrenbürgerin Goethe lieber im eigenen Herzogtum gesehen hätte? Sigrid Damm stellt sich selbst diese Frage nicht, sie lässt lieber die historischen Fakten sprechen.
Ob die Gothaer Ehrenbürgerin Goethe lieber im eigenen Herzogtum gesehen hätte? Sigrid Damm stellt sich selbst diese Frage nicht, sie lässt lieber die historischen Fakten sprechen.

                           Von Sigurd Schwager

 

Am 26. September 1827, es ist ein überaus schöner Herbstmittwoch, lädt Goethe den getreuen Eckermann zu einer Spazierfahrt nach der Hottelstedter Ecke ein, der westlichsten Höhe des Ettersberges bei Weimar. Die Aussicht in der klaren Morgenbeleuchtung der reinsten Herbstsonne sei herrlich gewesen, notiert Johann Peter Eckermann später. „Ich übersehe von hier aus“, zitiert er den Dichter, „eine Menge Punkte, an die sich die reichsten Erinnerungen eines langen Lebens knüpfen. Was habe ich nicht drüben in den Bergen von Ilmenau in meiner Jugend alles durchgemacht! Dann dort unten im lieben Erfurt wie manches gute Abenteuer erlebt! Auch in Gotha war ich in frühester Zeit oft und gerne; doch seit langen Jahren so gut wie gar nicht."

Reichste Erinnerungen eines langen Lebens! Die Essenz dieses sehr ausführlichen Gesprächs darf natürlich nicht fehlen in Sigrid Damms neuem Buch, das zu weiten Teilen Goethes Gotha gewidmet ist, wie immer bei ihr achtsam recherchiert und detailreich geschrieben. Der Titel „Goethes Freunde in Gotha und Weimar“ geht dabei auf ein Goethe-Zitat zurück, mit dem die Autorin ihr Buch und auch ihre Erfurter Lesung im ausverkauften Haus am Breitstrom eröffnet: „Nun sag‘ ich noch allen Freunden in Weimar und Gotha ein treues Lebwohl!“, schreibt Goethe aus Italien, die benachbarten Fürstenhöfe in einem Atemzug nennend.

Es ist der 29. März 1787, Goethe ist in Neapel, steht kurz vor seiner Einschiffung nach Sizilien. Über den aus Weimar und seiner Amtstätigkeit entflohenen Dichter kursieren Gerüchte, er werde wohl nach seiner Italienzeit nicht nach Weimar zurückkehren, sondern an den Gothaer Hof gehen. 

Zwei Eisen im Feuer? Dem Taktiker Goethe, vermutet Sigrid Damm, gehe es wohl darum, die bestmöglichen Bedingungen seiner Heimkehr auszuhandeln. Sodann bittet die Autorin ihre Leser und die Zuhörer in Erfurt: „Stellen wir uns vor, Goethe wäre nach seiner Rückkehr aus Italien tatsächlich an den Gothaer Fürstenhof gewechselt . . . die fast fünfzig Lebensjahre, die noch vor Goethe liegen, hätte er nicht in Weimar, sondern in Gotha verbracht. Hätte andere große Geister, Johann Gottfried Herder oder Friedrich Schiller möglicherweise in die Stadt gezogen, hätte das barocke Theater auf Schloss Friedenstein zur Blüte geführt, hätte . . ."

Was wäre wenn? Ein spannender Gedanke, den der Leser allerdings allein weiterspinnen muss. Denn Sigrid Damm, geboren in Gotha und seit ihrem siebzigsten Geburtstag Ehrenbürgerin der Stadt, ist keine lokalpatriotische Träumerin. Sie wolle, schreibt sie, nicht der Phantasie Raum geben, sondern den Tatsachen. „Ob der Gothaer Hof jemals mit dem Gedanken gespielt hat, Goethe ganz für sich zu gewinnen, bleibt dahingestellt. Dass er aber ein gern gesehener und umworbener Gast und Gesprächspartner war, ist durch vielfache Aufenthalte in Gotha belegt. Davon will ich im folgendem erzählen.“

Das gelingt ihr gut. Oder um mit Goethe über dieses Buch zu sprechen: „Die Gunst, die man mir in Gotha gönnt, macht viel Aufsehn.“ Hier scheint zwar kein neuer, nie gekannter Goethe auf, aber Sigrid Damm bereichert wieder einmal unsere Goethe-Kenntnisse um manch interessantes Detail, und lässt die Zeit um 1800 vor unseren Augen lebendig werden.

Mit ihren Büchern über Persönlichkeiten der Weimarer Klassik hat sich Sigrid Damm eine große und treue Fangemeinde geschaffen. Diese Vertrautheit und Verbundenheit ist auch bei der jüngsten Erfurter Veranstaltung wieder deutlich zu spüren. Sie widme ihre Lesung, hatte sie zu Beginn des Abends gesagt, dem unvergessenen Herbstlese-Gründer Michael John. Auch dafür dankte ihr das Publikum mit starkem Beifall. 

Sigrid Damm im Ratsgymnsium

Fotos: Dirk Löhr

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