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Erfurter Herbstlese
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März 17 2015

Stefan Schwarz im Gewerkschaftshaus

Wenn der Nachbrenner zündet

Der großen Nachfrage wegen gibt es Stefan Schwarz diesen Frühling gleich zweimal im Gewerkschaftshaus.
Der großen Nachfrage wegen gibt es Stefan Schwarz diesen Frühling gleich zweimal im Gewerkschaftshaus.

Der Mann ist ein Phänomen. Karten für Lesungen mit Stefan Schwarz gehen inzwischen schneller weg, als eine der Damen in der Herbstlese-Geschäftsstelle „ausverkauft“ sagen kann. Auch der Versuch, der Nachfrage mit einem zweiten Termin zu begegnen, kann die Not nur mildern, sie bleibt in der Welt. Ein dritter Abend? Vielleicht im nächsten Jahr.

Doch soweit ist es noch nicht. Jetzt ist erst einmal Montag. Im Gewerkschaftshaus startet der Ausweichtermin. Die Leute im Saal sind, verkaufstechnisch gesehen, die letzten Käufer. Da der reguläre Abend aber erst am Donnerstag über die Bühne geht, sind sie nun die ersten. Sie sind die glücklichen.

Ganz stimmt das nicht. Denn die Kolumnen, die sein neuestes Buch „Wir sollten uns auch einmal scheiden lassen“, waren zunächst im „Magazin“ zu besichtigen. Eine gewisse Textsicherheit kann im Auditorium also vorausgesetzt werden, zumal was das Personal angeht – also die liebe Frau, den Sohn, die Trollprinzessin und periphere Charaktere wie Dinkelkekses, die schon in früheren Geschichten die Haupt- und Nebenrollen übernahmen. Doch liegen Welten zwischen der individuellen Lektüre zu Hause, auf der Gartenbank oder im Vorortzug zum kollektiven Erlebnis des öffentlichen Zuhörens.

Der Effekt ist bekannt. Der gleiche Film, vor der heimischen Glotze konsumiert, sorgt für weniger persönliche Heiterkeitsbekundungen als in der Gruppe in einem Lichtspielhaus. Wer allein eine amerikanische Sitcom schaut, wird sich von den untergelegten Lachern wenig beindrucken lassen. Kaum sitzt der Komödienkonsument mit eine paar Freunden vor der Glotze, kann das große Kichern beginnen. Oder auch nicht; der Film kann trotz größter Lachbereitschaft in der Sofalandschaft immer noch eher ein unlustiger sein.

Lachen steckt also an. Das ist nur die halbe Wahrheit. Stefan Schwarz hat die Gabe, seine Texte urkomisch vorzutragen. Vor der knallhart kalkulierten Pointe kommt beim Vorlesen eine Pause, in die schon einiges Lachen passt. Der Schwarzsche Humor setzt auf Situationskomik. Das bringt die Leute bereits vorpointetär zum Juchzen. Dieser ersten Entladung lässt der Autor Luft, sich zu entfalten. Dann kommt das nächste Wort, dann vielleicht der eigentliche Witz – und dazwischen Kichern, das zum Gelächter anwächst.

Manches Mal setzt parallel zur Geschichte auch das Verständnis ein. Die meisten kennen das, wenn im Familien- oder Freundeskreis plötzlich die Erkenntnis zuschlägt, und ein Zuhörer – bei allem Respekt, meist eine Frau – zu lachen beginnt, wenn die anderen schon damit fertig sind. Einen „Nachbrenner“ nennt Stefan Schwarz das. Mit ein wenig Glück fangen dann auch die anderen noch einmal an, sich auszuschütten. Im besten, vielleicht auch im schlimmsten Fall, führt das zum gemeinschaftlichen Lachanfall, der, wenn alle glauben, es ist endlich vorbei, noch einen Juchzer zünden lässt.

Und Schwarz zündelt selbst. Er setzt noch einen drauf („manche wachen nachts auf und lachen“) und noch einen („oder stören auf Beerdigungen“). Am Ende wird dann ein kleines Tränchen verdrückt. Meist nicht nur das.

Stefan Schwarz hat diese Vortragsform auf ein neues, ihm eigenes Niveau gehoben. Es ist durch all den Spaß nicht leicht zu erkennen, dass solcher Art Unernst ehrlicher Arbeit bedarf, einer klaren Sicht auf die Dinge dieser Welt und – nicht zuletzt – viel, viel Lebensweisheit.

Ein Beispiel: Der Autor, in dritter Ehe verheiratet, träumt von einer diamantenen Hochzeit. Wie soll er aber auf 108 Jahre kommen, um die sechs Jahrzehnte (noch) zu schaffen? Er plädiert auf eine Regelung wie im Berufsleben. Da zählt ja für die Rente auch nicht die Betriebszugehörigkeit, sondern die Lebensarbeitszeit. Warum also nicht die Dauer der drei Ehen addieren? Zur Not lässt sich ja auch mit allen drei Frauen feiern. Kurz, über die Ehe kann nur lachen, wer die Ehe kennt.

Das liest sich hier nicht besonders komisch. Im Gewerkschaftshaus, mit den richtigen Worten und Pausen, kriegt sich das Publikum nicht ein.

Auf der Rückseite seines Buches wird ein anonymer Leser zitiert: „Am Ende haben wir uns die besten Geschichten – und das waren nicht wenige – gegenseitig vorgelesen und uns kringelig gelacht.“ Das ist natürlich auch eine Möglichkeit. Besser ist es, Herr Schwarz liest selbst vor. Der kann das, der macht das gern. „Auf Wiedersehen im nächsten Jahr“, verabschiedet er sein Publikum. Auf dass es sich rechtzeitig um Tickets kümmere . . .  

Stefan Schwarz im Gewerkschaftshaus

Fotos: Holger John

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