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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
März 11 2018

Die Herbstlese trauert um ihren klugen Freund Dietmar Herz

Ein realistischer Träumer

Dietmar Herz (1958 - 2018).
Dietmar Herz (1958 - 2018).

Ein Quartett, das sind vier. So auch beim Literarischen Quartett der Erfurter Herbstlese. Fast seit Anbeginn des Festivals schauen zumeist vier Männer – eine kurze Zeit lang auch eine Frau – auf das Angebot der Saison voraus. Die vier loben oder tadeln Bücher, manchmal im intellektuellen Streit, immer der Aufklärung verpflichtet; mit offensichtlichem Spaß und der Hoffnung, dem geschätzten Publikum möge es ebenso gehen.

Gefühlt immer dabei: Dietmar Herz. Der Professor, der zeitweise auch als Vizepräsident der Erfurter Universität im Podium saß oder als Staatssekretär im Justizministerium, gab dem Gespräch wissende Tiefe, er argumentierte oft unaufgeregt und immer klug. Auch wenn er von seinen Gesprächspartnern nicht immer Recht bekam, lag er doch meistens richtig. Dietmar Herz war, auch wenn die Debatte emotional wurde, eine treue wie kenntnisreiche Stimme der Vernunft.

Am Mittwoch ist er verstorben. Seine Kraft reichte nicht mehr, seiner langen Krankheit zu widerstehen. Er wurde 59 Jahre alt.

Was sein Tod für das Quartett bedeutet, ist nicht abzusehen. Er hinterlässt, auch hier, eine große Lücke. Wer immer sie ausfüllen möchte, wird an ihm gemessen werden.

Aber es ist ja nicht nur dieser eine Abend im Herbst. Dietmar Herz stand der Herbstlese als Moderator und Gesprächspartner verlässlich zur Verfügung. Martin Walser, Ralph Giordano, Rüdiger Safranski, Gregor Gysi, Hans-Joachim Schädlich, Ilija Trojanow, Assaf Gavron, Judith Hermann . . . die Liste der Autoren, die er vorstellte und bei den Festivals durch ihre Lesungen begleitete, ist sehr lang.

Diese Namen zeigen auf sehr eindrückliche Weise die Breite seiner Interessen und Kenntnisse. Monate bevor die Herbstlese ihr Programm veröffentlichte, drängte er darauf, die Bücher zu bekommen. Um zu sehen, welche Veranstaltungen er moderieren wollte. Und dann den Sommer über sich lesend darauf vorzubereiten.

Dietmar Herz war ein leidenschaftlicher Leser. Es schien fast so, als hätte er jeden Autor, jede Autorin gekannt und ihre Bücher gelesen. Wenn nicht, dann holte er das nach. Auf seine Art: Er las das Gesamtwerk, darunter machte er es nicht. Das machte ihn unter den vielen Moderatoren von Herbst- und Frühlingslese so besonders. Es gehörte einfach auch zu seinem Ethos als Wissenschaftler, zum Anspruch an sich selbst.

Es ist nicht leicht, mit diesem Anspruch einer Welt zu begegnen, die das Mittelmaß feiert. Die der Bürokratie huldigt und auf Ehre im Zweifelsfall wenig gibt. Die Herbstlese bot Dietmar Herz damit eine Zuflucht vor grauen Kollegen und unsicheren Parteifreuden, die Dinge wie ein Selbstplagiat erfanden, um ihm zu schaden. Die seine Loyalität ausnutzten ohne jede Scham.

Ein Roter in Bayern. In nur drei Worten ist die Tragödie erzählt. Sie ist nicht ganz neu, einer ihrer bekanntesten Helden heißt Peter Glotz. Seinetwegen – und, natürlich, wegen Willy Brandt – war Dietmar Herz Genosse. Wie der Gründungsrektor der Erfurter Universität hoffte er auf den Sieg der Vernunft. Doch die ist rar gesät in diesen Tagen kollektiver Paranoia. Wie Glotz wollte er mit seinem Wissen helfen – und scheiterte oft.

Er war Politologe und Jurist, er glaubte an die Macht des Arguments. Doch den einen war er zu nah an den Leuten, von denen er vielen fremd blieb. Er hat redlich versucht, den Menschen zu dienen. Er kehrte sogar zu einer Partei zurück, die aus seinem Verstehen heraus das menschlich Unredliche stützte. 25 Jahre ist es her, dass SPD und CDU das Grundgesetz stutzten. Verglichen mit den Debatten um Asyl und Flüchtlinge, die heute toben, erinnert die Schlacht von damals inzwischen an eine dieser Legenden aus Mittelerde.

Doch Dietmar Herz hoffte weiter. Wieder und wieder ließ er sich vor den Karren spannen. Er trat sogar in die thüringische Landesregierung ein. Das war kein Missverständnis, auch wenn er später beklagte, ihm habe der Stallgeruch gefehlt. Er hat das vorher gewusst. Die fünf Jahre in der Regierung Lieberknecht zeigen ihn als den, der er immer war: ein realistischer Träumer. Ein Mann, der mit beiden Füßen auf dem Boden stand. Mit dem Kopf in einem Buch. Einer, der zwischen den Stühlen saß.

Dort war er bei der Herbstlese genau richtig. Als Vermittler zwischen Willigen, die wenigstens zuhören. Die sich dem Dialog nicht verweigern. Die auch anderen eine Meinung zubilligen. So saß er auf dem Podium mit Gregor Gysi, als das noch nicht schick war. Mit einem Kaisersaal voll mit bedingungslosen Fans des linken Vormannes, die schon kritische Fragen als zutiefst ehrabschneidend begrummelten. Die hinterher schwärmten, was für ein Abend, um sich dann über den Moderator zu beschweren.

Seine Gesprächsgäste sahen das anders. Er liebte es, mit ihnen noch auf ein Glas und einen guten Happen zusammenzusitzen. In diesen Runden fand er die Anerkennung, die ihm viel öfter zugestanden hätte. Mit nicht wenigen der Autoren, die er bei der Herbstlese ja auch oft erst persönlich kennenlernte, hielt er danach weiter den Kontakt. Er korrespondierte mit ihnen und suchte so immer wieder den geistigen Austausch, manche von ihnen besuchte er auch.

Der israelische Autor Assaf Gavron gehörte dazu. Er wird am 18. März bei der Frühlingslese auftreten. Er hatte sich schon sehr darauf gefreut, Dietmar Herz wiederzusehen. Nun wird ihm von seinem Tod berichtet werden müssen.

Den Menschen Dietmar Herz haben die Enttäuschungen seines Lebens tief getroffen. Den Wissenschaftler kosteten die Intrigen die verheißungsvolle Laufbahn. Die politische Ranküne ließ ihn desillusioniert zurück. Kraft und Halt fand er bei seinen Büchern, von denen er auch einige selbst schrieb. Und bei der Herbstlese, bei seinen akribischen Vorbereitungen darauf. Beim Viertel Weißen danach

Die größte Stütze war ihm jedoch seine Frau Dominique. Mit ihr fühlt die Herbstlese tief. Wer beide erlebt hat, weiß: Ihr Schmerz ist unendlich.

Der Tod von Dietmar Herz ist ein großer Verlust. Der Verein Erfurter Herbstlese wird ihm –auf mehr als eine Art – ein würdiges Andenken bewahren. Doch das kommt später. Jetzt ist es an der Zeit zu trauern, um einen großartigen Freund, der mit seiner klugen Wärme, seinem riesigen Wissen und seinem feinen Witz sehr fehlen wird.

Peter Glotz, dessen Bibliothek der Bücherfreund Dietmar Herz so gern gerettet hätte, schrieb kurz vor seinem Tod:

„Was dann nach jener Stunde sein wird, wenn dies geschah,
weiß niemand, keine Kunde kam je von da,
von den erstickten Schlünden, von dem gebrochnen Licht,
wird es sich neu entzünden, ich meine nicht . . .“

Ob Dietmar Herz, immerhin Zögling einer bayerischen Klosterschule, auch in dieser Frage mehr wusste? Es wäre tröstlich, nicht nur für ihn.

Trauer um Dietmar Herz

Fotos: Holger John

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