Denis Scheck erzählt in der Aula des Ratsgymnasiums von „Solons Vermächtnis“ – dem richtigen Zeitpunkt im Leben
Dann fängt das Leben erst an!
Als feste Größe der Herbstlese gibt sich der Literaturkritiker Denis Scheck am Ende einer jeden Saison in Erfurt die Ehre. Wesentlich seltener sind seine Besuche im Frühling. Da war er erste einmal im Haus der Gewerkschaften zu Gast – zusammen mit seiner Schulfreundin Eva Gritzmann. „Sie und er“ hieß vor fünf Jahren das gemeinsame Buch. Es handelt vom „kleinen Unterschied“ zwischen den Geschlechtern beim Essen.
Daran, so der Plan, wollten die beiden am Samstag im Ratsgymnasium anknüpfen. „Solons Vermächtnis“ handelt, so verspricht es der Untertitel, „vom richtigen Zeitpunkt im Leben“. Für Frau Gritzmann war es das vergangene Wochenende definitiv nicht. Denn anstatt mit Herrn Scheck durch die literarisch-kulinarische Welt zu reisen, konnte sie ihr Heim erst gar nicht verlassen. Ein Magen-Darm-Infekt, entschuldigt sie ihr Mitautor; sie sei eben eine bessere Autorin als Ärztin.
Ein echter Scheck, dieser Satz. Denn der Witz gereicht ihr zur Ehre. Des Öfteren wird er im Laufe des Abends feststellen, dass ihr gemeinsames Buch ohne die promovierte Medizinerin anders, aber bestimmt nicht besser ausgefallen wäre. Ihr oblag es bei den Vorbereitungen des Textes, die nicht immer einfachen Gesprächspartner für die Sache einzunehmen; Gritzmann und Scheck, eine Variante von „guter Autor böser Autor“.
Doch auch allein „rockt“ – wie er später nicht ohne Stolz per SMS in die alte Heimat verkündet – der scharfzüngige Schwabe die Aula des Ratsgymnasiums. Gut 150 Menschen sind gekommen; für seine Verhältnisse sind das eher wenig. Doch der vermeintliche Mangel gerät zum Plus. Ein intimer Lese-Abend, was will das Publikum mehr.
Es erlebt den Autor bei einem unterhaltsamen Ritt durch Raum und Zeit. Ein Abend, der bildet, und einer, der Spaß macht. Obwohl es nicht immer um leichte Kost geht.
„Solons Vermächtnis“ ist ein sehr dichtes Buch. Es rückt einen alten Griechen in den Mittelpunkt, den kaum noch ein Mensch kennt. Er lebte im 6. und 5. Jahrhundert vor Beginn unserer Zeit im antiken Athen, und machte sich so seine Gedanken über das Alter(n). Alle sieben Jahre, rechnete er vor, tritt ein Mann in eine neue Lebensphase. Jede davon mit ihrem besonderen Recht: so gibt es den Höhepunkt an Vitalität (eher früher) und den an Weisheit (eben später). Jegliches hat seine Zeit.
Gritzmann und Scheck belegen das in ihrem Buch unter anderem mit den Beispielen von Menschen, die quasi über Nacht ihren Leben eine neue Richtung gaben; der Sternekoch legt den Löffel zur Seite, und verkauft plötzlich Gewürzmischungen. Der Kunst-Verleger verlässt die Stadt und fängt an, im tiefen Wald Schnaps zu brennen. Wann reifte ihr Entschluss? Was braucht es, um wirklich genießen zu können? Keine leichten Fragen.
Und doch werden sie, im Buch wie bei der Lesung, mit Leichtigkeit gestellt, und manches Mal auch beantwortet. Die wohl schönste Frage des Abends ist die an den Lotto-verrückten Martin Walser. Was wolle denn er, der inzwischen 89-Jährige, mit einem Hauptgewinn anfangen. Die Antwort des Schriftstellers: „Aber dann fängt das Leben erst an!“
Wie im Herbst geht es bei Denis Scheck auch im Frühling Schlag auf Schlag. Doch diesmal können sich die Zuhörer bequem dem Augenblick hingeben. Die meisten Pointen sind im Buch versammelt, und lassen sich bei Gelegenheit nachschlagen. Wenn der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist.
Denis Scheck in der Aula des Ratsgymnasiums
Fotos: Holger John