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Erfurter Herbstlese
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März 11 2016

Die Berlinerin stellt im Gewerkschaftshaus ihren dritten Roman vor – ein bisschen

Schöner knetschen mit Sarah Kuttner

Auch mit ihrem dritten Roman kam Sarah Kuttner nach Erfurt.
Auch mit ihrem dritten Roman kam Sarah Kuttner nach Erfurt.

Vor ein paar Jahre, vielleicht sind es sogar noch mehr, saß Madonna auf der Couch von David Lettermann. Sie pinkle sich unter der Dusche auf die Füße, verriet die Pop-Diva dabei ihrem sichtlich überraschten Gastgeber. Das sei das beste natürliche Desinfektionsmittel, was er sich vorstellen könne, erklärte die Sängerin dem Talkshowmaster. Der schaute mehr irritiert denn erfreut, lächelte zwar, doch Skepsis legte sich deutlich über sein Gesicht.

Es war ein Zeichen. Von diesem Abend an dauerte es nicht mehr lange, und gefühlte Ströme des ganz besonderen Saftes überschwemmten erste die Seiten der einschlägigen Illustrierten, ehe sie sich über dem Buchmarkt ergossen.

Nun gibt es Autorinnen, die widmeten sich noch ganz anderen Körperflüssigkeiten voller Hingabe. Sarah Kuttner wurde mit ihren bisher drei Büchern in dieser Richtung noch nicht verhaltensauffällig. Aber es gilt das gesprochene Wort; Buch ist Buch und Live is Life. Oder doch eher Life is Live? Egal, wichtig ist im Saal.

Der ist an diesem Abend im Gewerkschaftshaus vollbesetzt. Die Berlinerin will ihr neues Buch „180° Meer vorstellen“, so steht es auf dem Programm. Aber viel lieber will die 37-Jährige ein bisschen plaudern. Knetschen, wie es so schön in Erfurt heißt. Ihr Buch kennt sie ja schließlich schon.

Interagieren, schlagfertig sein, das Publikum zutexten, das sind mit Sicherheit nicht ihre minimal ausgeprägten Talente. Das kann sie, das hat sie drauf, und ehrlich, dafür lieben sie die Leute ja auch. So sitzt sie denn auf der Bühne, und moderiert sich selbst. Es ist erstaunlich, wie schnell die kleine Frau mit den hohen Hacken reden kann. Immer Attacke.

Ihr Publikum findet das gut. Selbst die junge Frau, die hochnotpeinlich befragt wird, wo sie mitten in der Veranstaltung hinwill, nimmt es ausgesprochen locker. Die Blase und die Toilette sind die Stichwörter ihrer Verteidigungsrede. Und Sarah vergibt, sofort. Denn Frauen und die Blase, das ist ein Thema, das verbindet. Das Brücken baut vom Pult hinunter zu den Fans. Das den Sprachschatz erweitert.

Unten im Publikum. Denn das Wort „auspullern“ hat die kleine Sarah schon früh von ihrer Mama gelernt. Ehe es auf eine Reise ging oder ins Kino, immer, wenn eine erreichbare Bequemlichkeit für die nächsten Stunden nicht garantiert war, ging es noch einmal auf die Toilette. Das prägt. Auch Frau Kuttner, ganz klar, macht ohne richtig ausgepullert zu haben keine drei Schritte.

Das ist lustig anzuhören, und das ist auch ein wenig schade. Denn über all das Geplaudere kommt das Buch einfach zu kurz. Zwar liest die Autorin drei Passagen, aber das Schicksal ihrer Romanheldin Jule scheint so richtig im Saal niemanden zu interessieren. Da sind ganz andere Dinge wichtig: ihr Stimmlippenödem zum Beispiel, das der rauchenden Moderatorin eine rauchige Stimme verleiht. „Ich bin die deutsche Bonnie Tyler“, lacht sie. Ihre angegriffenen Stimmbänder geben ihr recht.

Oder, wenn wir gerade bei Sängerinnen sind, da ist ja auch noch Sade. Jule ist Barsängerin, ihre Version von „Smooth Operator“ kommt bei den Gästen gut an. Wie die Ausführungen von Sarah Kuttner über die Königin des Smooth Jazz, deren Texte gar nicht so geschmeidig sind, wie es die Musik glauben machen möchte. Apropos Text: die Autorin nutzt, wie in diesem Fall, jede Möglichkeit, sich vom eigenen Buch zu entfernen. Lieber extemporiert sie über so wichtige Dinge wie die Kastration ihres Jack Russel Terriers, oder welche der sechs Freunde aus „Friends“ sie gern wäre.

Kurzweilig ist das allemal. Ihr 90-minütiger Auftritt geht in die Zielgerade – und Frau Kuttner nach dem Dank des Veranstalters und der Übergabe der obligatorischen Brückentrüffel erst einmal eine Zigarette rauchen. Dann steht sie am Büchertisch und ihren Fans zur Verfügung.

„Sie hätte ruhig mehr lesen können“, sagt eine junge Frau in der Schlange zu ihrer Begleiterin. „Ach nö“, erwidert die, „war doch ganz schön so.“ Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

Sarah Kuttner im Gewerkschaftshaus

Fotos: Holger John

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