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Erfurter Herbstlese
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Nov. 22 2014

Eckhard Fuhr bei Hugendubel

Der Norden mag die Wölfe mehr

Der Norden mag die Wölfe mehr
Der Norden mag die Wölfe mehr

Vom Wolf gehört oder gelesen hat in Deutschland jedes Kind. Dafür sorgen schon die Hausmärchen der Brüder Grimm und, wenn auch nicht mit ganz der gleichen Intensität, die Romane Jack Londons. Mit dem Sehen ist das schwieriger. Es gibt ein Wolfsrudel im Alternativen Bärenpark Worbis, ein anderes kann im Bayrischen Wald besichtigt werden. Doch Isegrim in der freien Natur zu treffen, dafür braucht es mehr.

Selbst einem Experten wie Eckhard Fuhr gelang das bisher nur einmal. Ein Tierfilmer hatte den passionierten Jäger mit auf die Pirsch genommen. Ein Jungwolf des Spremberger Rudels war es, den er beobachten konnte. Ein Sachse, sozusagen.

Denn dort, im tiefsten Osten, in der Lausitz, wurde um die Jahrtausendwende bemerkt, was Fuhr heute das deutsche Wolfswunder nennt. Auf einem Truppenübungsplatz, umgeben von Tagebauen, deren Resten und vielen Teichen, siedelte sich doch tatsächlich eine Wolfspärchen an. Erst wollte man offiziell nicht recht damit herausrücken, doch als unter Jägern die Botschaft die Runde machte, bekannt sich der Freistaat zu seinen Immigranten. Seitdem ist zu beobachten, wie sich Canis Lupus langsam aber stetig in Richtung Westen ausbreitet. Auf etwa 300 Tiere wird die Population inzwischen geschätzt.

Bei den Menschen, das zeigt Eckhard Fuhr, ruft diese Verbreitung recht unterschiedliche Gefühle hervor. Im Gespräch mit seinem Erfurter Publikum gibt es als Faustregel aus: Die Städter lieben den Wolf mehr als die Menschen auf dem Land, und je mehr man in den Süden kommt, umso größer ist die Skepsis.

Das hat mit der Sorge um das Vieh zu tun. Die klassische Schafzucht ist inzwischen stark auf Zuwendungen aus Brüssel, vom Bund und den Ländern angewiesen. Ohne den Vertragsnaturschutz stände es um das alte Handwerk schlecht. Doch während im Norden die Herden in der Nacht von – oft mobilen – Zäunen geschützt werden, sind sich die Tiere in den Gebirgen des Südens im Sommer zumeist selbst überlassen. Zwischen Almauf- und abtrieb drohte ihnen bisher kaum Gefahr. Das kann sich mit den Wölfen ändern.

Denn auch die Antwort auf nächtliche Wolfsbesuche, die es in der Lausitz und den anderen Wolfsvorkommen gab und gibt, die auch immer wieder das eine oder andere Nutzvieh das Leben kosten, anders als im Norden lassen sich in den Alpen Herdenhunde nur schwerlich einsetzen. Diese Hunde wurden quasi als Antwort auf die Angriffe der Wölfe auf die Herden wiederentdeckt. Sie sind aber, anders als die Hütehunde, nicht unbedingt des Menschen bester Freund. Sie leben mit und als Teil der Herde und sind gerade so an den Schäfer gewöhnt, dass sie sich in ein Auto verfrachten oder vom Tierarzt untersuchen lassen. Eine Begegnung mit Wanderern, mehr noch mit deren Hunden, könnte zu Spannungen in den touristisch stark genutzten Bergregionen zum Beispiel Bayerns führen.

Wie sich das Problem lösen lassen könnte, darauf weiß auch Eckhard Fuhr noch keine endgültige Antwort. Grundlage wird sein müssen, dass sich alle Betroffenen um einen Kompromiss bemühen. Möglicherweise erlebt ja – den Wölfen sei Dank – der Almhirte eine Renaissance. So mancher Student könnte sich so doch im Sommer ein paar gesunde Euro verdienen.

Dieser pragmatische Blick zieht sich durch Eckhard Fuhrs Buch. Obwohl er die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland begrüßt, ist er kein Wolfromantiker. Auch im Gespräch mit dem Erfurter Publikum zieht er klare rote Linien. Der Wolf so sein Credo, darf den Menschen nicht zu nahe kommen, in den Dörfern habe er nichts zu suchen. Er tritt für eine klare Kante der Behörden ein: Wer etwa Wölfe füttert, muss bestraft werden. Auch bei „Problemwölfen“ ist es bei ihm mit der Tierliebe vorbei, kommt der Schutz der Bevölkerung an erster Stelle. Nicht auszudenken, was in Deutschland passiert, würde ein Wolf ein Kind anfallen – soweit darf es, im Interesse der schönen Tiere, erst gar nicht kommen, meint Eckhard Fuhr.

Doch zum Glück sind derlei trübe Aussichten nur ein Aspekt seines Buches. Obwohl an Seiten nicht stark, darf es doch als eine Kulturgeschichte des Wolfes, also auch als eine des Menschen, bezeichnet werden. Ihr Autor , der auf viele Jahre als politischer Redakteur bei der FAZ und als Feuilleton-Chef der Zeitung „Die Welt“ zurückblicken kann, hat zu diesen Aspekten viele kluge Gedanken zusammengetragen und aufgeschrieben. Diese hier zu repetieren wäre nicht klug, kann doch eine Zusammenfassung der Lektüre diese auf gar keinen Fall ersetzen.

So endet nach gut 90 Minuten ein interessanter Abend in der Buchhandlung Hugendubel. Den einige Besucher mit dem gerade frisch erworbenen Buch vielleicht sogar zu Hause fortsetzen.

Der Norden mag die Wölfe mehr

Fotos: VIADATA

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