Wolfram Eilenberger und sein hochgelobter Bestseller „Zeit der Zauberer“
Die Stunde der Philosophen

Von Sigurd Schwager
Reden wir über Philosophie. Über Fußballphilosophie. Ein Kolumnist mit der Lizenz zum Trainieren hält bei Zeit online regelmäßig seine immer wieder lesens- und bedenkenswerte Kabinenpredigt. Jüngst hat er dabei "Abschied vom Laptoptrainer" genommen. Der Fußball sei vielleicht zu dämlich und damit nichts für fortschrittsgläubige Datenspezialisten. Ein simples Spiel für simple Gemüter. In der Kommentarspalte halten sich Lob und Tadel der Leserschaft die Waage. Die schönste Kritik lautet: „Fußballprosa vom Feinsten. Ich verstehe zwar kein Wort davon, genieße aber den Text.“
Nun ist der Fußballprosaiker, der eines seiner frühen Bücher dem „Lob des Tores“ gewidmet hat, Gast der Erfurter Frühlingslese. Ohne Laptop. Und er wird auch vor dem zahlreich erschienenen Publikum kein einziges Wort zum Thema Fußball verlieren, weil ihm niemand im Saal dazu eine Frage stellt. Das ist ein bisschen schade, aber zu verschmerzen, zumal 24 Stunden später an selbigem Ort ein begnadeter Fußballer, Lutz Lindemann, aus seinem Leben plaudern wird. Beim Lindemann-Vorgänger im Saal ist das Interesse der neugierigen Frühlingsleser-Schar ein anderes. Es gilt ganz klar der Philosophie, dem promovierten Philosophen Wolfram Eilenberger (46) und seinem preisgekrönten Sachbuch-Bestseller „Zeit der Zauberer. Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919 – 1929“. Der erwähnte Netzkommentator würde es wohl so formulieren: Philosophieprosa vom Feinsten.
Die Kritiker, ausgenommen Maxim Biller, singen geradezu Hymnen auf das Buch über die vier philosophischen Riesen des 20. Jahrhunderts. Rüdiger Safranski, der selbst Sachbücher spannend wie Romane zu schreiben vermag, merkt zu Eilenbergers Opus Magnum an: „Dieses anschaulich geschriebene, gedankenreiche und schön erzählte Buch schildert die Jahre zwischen 1919 und 1929, in denen Heidegger, Wittgenstein, Benjamin und Cassirer Weltbedeutung gewannen. Sie hatten kaum Umgang miteinander, aber viel miteinander zu tun. Zusammen bilden sie, wie Eilenberger eindringlich zeigt, eine erstaunliche geistige Konstellation, vier Lebensentwürfe und vier Antworten auf die Frage: Was ist der Mensch? Herausgekommen ist dabei das Sternbild der Philosophie in einem großen Augenblick im Schatten der Katastrophen davor und danach.“
Micha Brumlik beginnt seine Besprechung in der taz mit den Worten: „Es gilt ein Buch vorzustellen, das auf lange Zeit seinesgleichen suchen wird.“ Und im österreichischen „Falter“ lesen wir: „Das Schöne an diesem Buch: Man muss kein Grundstudium Philosophie absolviert haben, um es zu goutieren. Eilenberger ist nicht nur ein versierter Rechercheur, sondern durch seine schriftstellerischen Fähigkeiten auch ein begnadeter Vermittler. Es macht Freude, mit ihm tief in die Denkleben seiner Helden einzutauchen.“ In die Sprache des Geistes von Ludwig Wittgenstein, Walter Benjamin, Ernst Cassirer und Martin Heidegger.
Genauso empfindet es wohl das Publikum, das in Erfurt Wolfram Eilenberger lauscht, der mal erzählt, mal liest und zum am Ende Fragen beantwortet. Schlösse man die Augen, würde man das drucktauglich gesprochene nicht vom gelesenen Wort unterscheiden.
Eine Szene, die der Autor im Verlauf des Abends vortragen wird, taucht schon im Prolog auf. Sie beginnt mit dem Satz, der als Teil für das interessante Ganze, für das Buch, steht: „Macht euch nichts draus, ich weiß, ihr werdet das nie verstehen.“ Diesen Satz spricht, 1929 zur Doktorprüfung in Cambridge angetreten, ein gewisser Ludwig Wittgenstein, Ex-Multimillionär und Grundschullehrer aus Österreich. Nichtversteher sind die damaligen Berühmtheiten Bertrand Russell und George Edward Moore. Eine andere, vom Autor ausgewählte Szene, handelt von der Davoser Disputation zwischen Cassirer und Heidegger, „bei der es im gewissen Sinn um die Zukunft der deutschen Philosophie ging.“
Zur Frühlingslese im Hause Dacheröden bleibt nicht unerwähnt, dass die Erfurter Veranstaltung auf den Tag genau 90 Jahre nach der berühmten Schweizer Disputation vom 26. März 1929 stattfindet. Zum Zeitbezug kommt noch der räumliche: Wolfram Eilenberger ist berührt, in einem Haus lesen zu dürfen, in dem einst Wilhelm von Humboldt geheiratet hat und in dem auch Johann Wolfgang von Goethe ein und aus ging. Vom Dichterfürsten hat sich der Philosoph das Geleitwort für seine „Zeit der Zauberer“ entliehen: „Das Beste, das wir von der Geschichte haben, ist der Enthusiasmus, den sie erregt.“
Was ist der Mensch? Wer philosophiert, der spricht. Nach einer guten Fußballspiellänge endet ein ruhiger, konzentrierter, zu jeder Sekunde anregender Abend.
Dankender Beifall und anhaltendes Nachdenken.
Wolfram Eilenberger im Kultur: Haus Dacheröden
Fotos: Uwe-Jens Igel