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Erfurter Herbstlese
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Dez. 06 2022

Axel Hacke präsentiert sich und sein neues Buch dem begeisterten Pubikum

Erfurt liegt am Meer

Der begnadete Kolumnist Axel Hacke hatte dieses Mal in der Erfurter Oper auch sein neues Buch „Ein Haus für viele Sommer“ mit dabei. (Foto: Uwe-Jens Igel)
Der begnadete Kolumnist Axel Hacke hatte dieses Mal in der Erfurter Oper auch sein neues Buch „Ein Haus für viele Sommer“ mit dabei. (Foto: Uwe-Jens Igel)

Von Sigurd Schwager

„Im Lauf der Jahrzehnte habe ich so viele Bücher geschrieben“, schreibt im Netz der heutige Herbstlese-Gast, „dass ich irgendwann aufgehört habe zu zählen, wie viele es eigentlich sind.“ Nun, was die Zahl seiner bisherigen Bücher angeht, ist er dennoch kein Karl May und schon gar kein George Simenon. Aber in seinen ersten 66 Lebensjahren hat es Axel Hacke auf beachtliche 42 Titel gebracht, wie der mitzählende Verlag Doris Kunstmann verlautbart.

Womit er dem Autor natürlich nichts Neues erzählt, der hat sogar „die fünfzehn für mich Wichtigsten“ aufgereiht. Ganz vorn steht - Überraschung - sein jüngstes Buch „Ein Haus für viele Sommer“, gefolgt vom zweitjüngsten. Und am Ende wartet sein ältestes Buch „Nächte mit Bosch“, dicht davor das zweitälteste. Mittendrin erhebt sich auf Platz sieben der privaten Werkschau „Das kolumnistische Manifest“ aus dem Jahr 2015, ein Best-of-Wälzer mit mehr als 600 Seiten, „das dickste Buch von mir, das es je gegeben hat und je geben wird. Versprochen!“ Darin versammelt sind knapp 200 von damals schon angehäuften 1001 Hacke-Kolumnen für die Süddeutsche Zeitung.

Im Großen Saal der Erfurter Oper, welcher gut gefüllt ist mit fröhlich gestimmtem Publikum, nennt die Herbstlese-Programmchefin den Münchner Axel Hacke einen großartigen Kolumnisten und Autor, bei dessen Erzählkunst besonders die Melange aus Humor und Melancholie beeindrucke.

Zu Recht erwähnt Monika Rettig hier an erster Stelle den kolumnistischen Könner. Den in mehr als drei Jahrzehnten manifestierten Ruf beglaubigt aktuell Wikipedia, indem man den umfänglichen Text zum Stichwort Kolumne mit einem einzigen Symbolfoto illustriert. Es zeigt am Lesetisch den Kolumnisten Axel Hacke.

Nachdem sich in Erfurt der mit einzelnen Begeisterungspfiffen garnierte Begrüßungsbeifall gelegt und der Gast sich bedankt hat, erinnert er an seinen letzten Auftritt auf eben jener Bühne und sagt: „Es ist einiges passiert.“ Das meint den Weltenzustand im Allgemeinen und im Speziellen die pandemisch erzwungene Distanz zwischen Künstler und Publikum. Axel Hacke erzählt launig traurig von einer Autokino-Lesung im hessischen Baunatal, die ihn über das emotionale Ausdrucksvermögen diverser Kühlergrills nachdenken lässt. Und er berichtet von mühseligen Online-Lesungen, von trister Vergeblichkeit. Nichts, sagt er, wirklich nichts habe da funktioniert. „Umso glücklicher bin ich nun, wieder hier zu sein.“

Schon dieser Auftakt macht deutlich, dass das Gesamtkunstwerk Axel Hacke nach den abstinenten Zeiten bestens funktioniert. Das geschriebene Wort, das vorgetragene Spiel mit ihm und dem Publikum fügen sich zu einem vergnüglichen Ganzen. Dabei muss das neue Buch noch warten. Zunächst ist Zeit für Kolumnen. Acht am Stück erlebt und durchlebt man mit dem Autor, beginnend im Mai 2020 und endend im späten 2022 bei den klebenden Aktivisten der letzten Generation.

Dann ist in der Oper kurz Pause vom Lachen, Kichern, Schmunzeln und stattdessen Autogrammschreibzeit für den Verursacher der guten Stimmung. Der Übergang vom Signieren zum Teil II des Abends gestaltet sich dramaturgisch sinnvoll. Denn nunmehr steht im Mittelpunkt sein aktuelles Buch „Ein Haus für viele Sommer“, das seit dem Erscheinen mit viel Wohlwollen der Kritiker bedacht worden ist. Ein Buch wie ein Lichtblick sei das, schwärmt die mit viel Empathie gesegnete Elke Heidenreich. Wärmer und lebendiger als Hacke könne das niemand erzählen. „Ein Buch ohne jede Hektik, innen und auch außen in der Aufmachung: wunderschön.“

Sein Haus für viele Sommer, sagt Axel Hacke in Erfurt, handele von der Magie des Ortes. Warum fahre er mit seiner Familie seit einem halben Jahrhundert immer wieder in dasselbe kleine alte Dorf auf einer italienischen Insel? Die Antwort auf diese Frage gebe das Buch in Form von Geschichten über die Menschen, die dort leben. „Was passiert, wenn man einen Ort im Süden nicht bloß als Urlaubskulisse sieht, sondern wenn er einem nach und nach in einem viel tiefer gehenden Sinn wirklich wichtig wird?“

Axel Hacke startet die Reise mit den ersten Worten des Buches: „Hundert Meter entfernt von unserem Turm, von dem ich berichten werde, in einer kleinen Seitengasse des Dorfes, haben wir eine Cantina, in der wir Fahrräder aufbewahren, auch eine Vespa, dann zum Beispiel Fliesen, die wir vielleicht noch mal brauchen werden. Solche Sachen. Die Waschmaschine steht ebenfalls dort, und die Cantina ist sogar so groß, das der alte Fiat 500 dort Platz hat, von dem ich auch noch erzählen möchte, später...“

Wie die Anfangssätze so das ganze Buch und sein Sound. Wobei Axel Hacke schon bei der Beschreibung der Garage inne hält, und zwar nach dem Satz. „Dorthin bringe ich die leeren Koffer, wenn wir sie ausgepackt haben und für eine ganze Weile nicht mehr brauchen.“ Leere Koffer? Der Autor runzelt sanft die Stirn. Schlecht lektoriert sei das. „Ich lese Ihnen jetzt noch einmal die redigierte Fassung vor.“ Nur für Erfurt mache er das. Übermorgen in Fürstenfeldbruck sei wieder die falsche Variante fällig.

So wie seine Augen blitzen, darf man sicher sein, dass das erheitert mitspielende Publikum wohl keineswegs Zeuge einer überraschenden Entdeckung des Autors geworden ist. Der Berichterstatter erinnert sich an ein Interview, das er zwei Tage vor diesem Abend in der Thüringer Allgemeinen gelesen hat. Darin fasst Axel Hacke seine Erfurt-Erfahrungen wie folgt zusammen: „Es gibt hier ein ganz besonderes Publikum, sehr aufmerksam, wach, belesen, freundlich.“

Die gelobten Damen und Herren bekommen vier längere Passagen vom Leben im sonnigen Süden geboten. Man hört zu, fühlt und schwebt: Erfurt liegt am Meer. Nach zwei Stunden und einer Kolumnen-Zugabe ist Schluss, leider. Noch mehr Beifall, noch mehr Pfiffe. Ein Herbstlese-Finale mit Popkonzert-Anleihen.

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