Die Erfurter Herbstlese trauert um ihren vielfachen Gast Hellmuth Karasek
Kritiker und Genießer

Ist das die Ironie des Schicksals? Fast unbemerkt von einer breiteren Öffentlichkeit soll am Freitag kurz vor Mitternacht „Das Literarische Quartett“ auferstehen. Natürlich mit neuem Personal, denn die prägende Kraft der Sendung, die in den 90er Jahren über Wohl und Wehe aller Drucksachen mit Anspruch in Deutschland entschied, Marcel Reich-Ranicki also, ist seit über zwei Jahren tot. Nun ist auch noch der zweite feste Mann der Runde verstorben. Hellmuth Karasek besorgt so den Nachfolgern der Kultsendung die nötige Publizität, die Chance, wahr- und später vielleicht sogar ernst genommen zu werden.
Nein, das ist keine Ironie. Der Vorgang beschreibt, was Karaseks Arbeitsleben ausmachte: Die Promotion guter Texte, und seien es die eigenen. Keiner konnte das mit so viel Schalk, mit einem Witz, der deutlich war und seine wahre Pointe oft erst später zündete. Er war ein begnadeter Unterhalter und Erzähler. Damit er mehr erzählen konnte, wurde die Form immer kürzer. Er landete schließlich bei der Anekdote, beim Witz, als dessen Großmeister er gelten darf.
In seinem Leben zeigt sich, dass wahre Kunst, und sei es die vermeintlich kleine, solides Handwerk zur Bedingung hat. Sein Handwerk war die Sprache, sein Werkzeuge die Stimme, mit einem rollenden R, das zum Höhepunkt hin, zur Pointe dräute. Er hatte Schmäh, ohne Wiener zu sein. Für die Stadt an der Donau, für ihre Großkritiker, war er auch gar nicht bissig genug. Dafür war Hellmuth Karasek einfach zu menschlich.
Manche verwechseln das ja mit Schwäche, viele seiner Kritiker-Kollegen ziehen die kalte Distanz vor. Karasek mochte das nicht. Er war kein Mann der Konfrontation, er stand für den Ausgleich. Mag sein, dass der barsche Reich-Ranicki mehr Eindruck beim Publikum machte als der verschmitzte Karasek an seiner Seite. Dafür machte der sich verdient um die Annäherung von Ernst und Unterhaltung; Dingen, die das strenge Feuilleton nicht gerne sah und wohl noch immer nicht sieht.
So muss er seinen Kollegen der reinen Lehre ein Graus gewesen sein. Mit seinen Auftritten in Talk- und in Spiel-Shows, in Ratesendungen, in denen er irrte in einem Ausmaß, die eigentlich Waldemar Hartmanns Domäne ist. Doch sein Publikum liebte ihn dafür. Auch in Erfurt, auch bei der Herbstlese.
Er, der promovierte Theaterwissenschaftler, der Journalist und Publizist, schrieb so viel, dass ohne Nachschlagen ein Überblick kaum möglich ist. Wie oft er in Erfurt war? Sehr oft, mit Büchern über den Witz und mit Witzen, mit einem Buch über Billy Wilder. Mit „Das Magazin“, einem Text nah am Hamburger Spiegel. Mit der Frage des kleinen jungen darin: „Papa, warum passiert in der Welt immer genau so viel, wie in die Zeitung passt?“ Eine Frage, die das Dilemma einer ganzen Zunft – und ihrer Rezipienten – in wenige Worte fasst.
Hellmuth Karasek in Erfurt, das ist die Erinnerung an volle Säle. Egal ob damals am Ring, im Haus des Buches oder im Atrium der Stadtwerke, immer waren alle Plätze besetzt. Vor Jahren sorgte der Ansturm just auf Tickets für einen Abend mit ihm für den völligen Absturz des Herbstlese-Servers. Er hat sich darüber später gespielt entsetzt – und lustig gemacht.
Denn lustig war er, war es mit ihm. Nach den Lesungen, bei einem guten Rotwein, ging die Show weiter. Er war einfach so, Hellmuth Karasek gab es nur im Komplettpaket. Das hieß lange Stunden, die kurzweilig gerieten. Am Anfang, als das noch erlaubt war, war auch noch eine Havanna im Spiel. Hellmuth Karasek war ein Genussmensch durch und durch. Der über alle Freude am Sein nach einem langen Abschied sein Honorar vergaß. Das ist bei der Herbstlese nur ein einziges Mal passiert. Das Geld wurde dann überwiesen.
Die Jahre werden zeigen, was von seinem Werk bleibt. Bei der Herbstlese, bei ihrem Publikum, bleibt die Erinnerung an einen warmherzigen, einen neugierigen Menschen. Einen intelligenten Spaßmacher und immer wieder gern gesehenen Gast. Zu schade, dass er nicht mehr kommen wird.