Das „Centrum“ macht dicht, es bleiben die schönen Erinnerungen
Lesen, trinken, rauchen

Das Centrum macht dicht. Der Club im Niemandsland zwischen Anger, Ring und Bahnhofsstraße muss in wenigen Wochen schließen. Damit geht für Erfurt ein besonderer Veranstaltungsort verloren. Auch bei der Herbstlese breitet sich ob des plötzlichen Endes Wehmut aus. Fast keines der bisherigen Festivals kam ohne einen Zwischenstopp bei den Bretschneiders aus. Einige Abende, besonders im Licht der alles verklärenden Erinnerung, verdienen das Prädikat legendär: Hier las und trank Harry Rowohlt, hier las und rauchte Sven Regener, hier las Wladimir Kaminer – und sang mit dem Publikum Katjuscha. Jetzt ist es damit vorbei.
Es soll einiges passieren, im alten Quartier. Dort, wo sich die hippe bis alternative Jugend die Nächte um die Ohren tanzte, soll bald wohltemperiert konsumiert werden. Was und wie ist noch nicht richtig raus, klar ist indes, die Uhr für das Centrum ist abgelaufen. So ist der Lauf des Geschäftslebens. Vor mehr als zwei Jahrzehnten erwischte es das Café Nerly, das der Karstadt-Erweiterung weichen musste. Jetzt ist auf der anderen Seite der Rest des alten Kaufhauses dran. Dort, wo früher seine Lager waren, wo das Centrum die Kinder der Nacht ein paar Abende anzieht, entsteht wieder irgendetwas zum Einkaufen.
Es stimmt schon, die Herbstlese machte in den letzten Jahren eher weniger Station hinter der Reglerkirche. Das lag aber ganz bestimmt nicht am Engagement der Pächter des Areals. Hans-Dieter Bretschneider und sein Sohn Andreas, der vor Ort die Geschäfte leitete, unterstützten nach Kräften das junge Pflänzchen Herbstlese. Ende des vorigen Jahrtausends hatten beide Seiten etwas davon. Im Club war auch an den weniger gut besuchten Partytagen wie dem Dienstag etwas los, und die Herbstlese hatte für schräge Autoren das passende Ambiente.
Später kam ein entscheidender Vorzug dazu: Mit dem Umzug vom Ring an den Anger wurden Buch Habel und das Centrum Nachbarn. Über den Hintereingang kam Michael John direkt zur Veranstaltung, mit ihm die Stühle. Es war damals noch alles ein wenig unkomplizierter, meistens zumindest. Denn es gab auch Ärger; mit Künstlern, denen der Sound nicht behagte oder die ihr Obstkörbchen vermissten. Manchmal meckerten auch Besucher, dass es im Club zu sehr nach Rauch roch. Damals wurde nicht nur auf der Bühne noch unbarmherzig gequalmt.
Aber dafür gab es ordentlich auf die Ohren. Meistens unten im Gebäude, einmal auch in der ersten Etage. Heinz Strunk war damals der Autor, der aber auch nicht nur las. Zu seinem Buch „Fleisch ist mein Gemüse“ begleitete er sich auf dem Saxofon. Cooler Abend.
In guter Erinnerung bleibt auch Florian Illies. Als der noch in Sachen „Generation Golf“ unterwegs war, ging es auch viel um unser Essen. Gemeinsam mit einer damals überregional völlig unbekannten Thüringer Politikerin – Katrin Göring-Eckardt – zelebrierte er das typisches Knacken beim Öffnen eines Nutella-Glases. Daran möchten sich vielleicht beide heute eher nicht mehr erinnern. Das könnte auch für die älteren Herrschaften gelten, die sich auf „Die Chaussee der Enthusiasten“ verirrt hatten, ihren Fehler aber recht schnell einsahen und wieder gingen.
Leider erkaltete die Liebe der Herbstlese zum Centrum eine wenig, was auch ein bisschen mit den Temperaturen im Club zu tun haben mag. Einschneidender waren aber die Schließung der Passage zum Anger, die Uneingeweihten das Finden des Vorlese-Ortes schwierig machten. Mit der Fusion von Habel und Hugendubel ging dann auch noch die gute Nachbarschaft von Buch-Laden und Unterhaltungs-Schuppen zu Ende. Schade.
Nun ist bald ganz Schicht im Schacht. Die alternativen Räume in Erfurt werden langsam rar. Bleiben fast nur noch das Haus der Gewerkschaften, das aber ein wenig zu groß für manche literarische Veranstaltung ist. Und der Museumskeller. Der ist nun wieder ein wenig klein. Es wird wirklich eng.
Nur die schönen Erinnerungen, die bleiben ganz bestimmt.