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Erfurter Herbstlese
Es lebe die Erfurter Herbstlese!
Sept. 20 2014

Unterhaltsames Literarisches Quartett

Vier Männer, eine Favoritin

Seit Jahren schon bestreiten Matthias Gehler, Dr. Dietmar Herz, Dirk Löhr und Felix Leibrock das Literarische Quartett zum Saison-Auftakt der Herbstlese
Seit Jahren schon bestreiten Matthias Gehler, Dr. Dietmar Herz, Dirk Löhr und Felix Leibrock das Literarische Quartett zum Saison-Auftakt der Herbstlese

Mit ein wenig Glück konnten Besucher des Literarischen Quartetts in der Vergangenheit mit einem Buch nach Hause gehen. Fiel eines der vorgestellten Werke bei den vier Herren durch, reichten sie es kurzerhand ins Publikum. Doch diesmal hielten sich Dr. Dietmar Herz, Matthias Gehler und Dirk Löhr, die der Einladung von Felix Leibrock zum traditionellen Disput zum Saisonauftakt in die Stadt-und Regionalbibliothek am Domplatz gefolgt waren, mit freizügigen Gaben zurück. Das spricht für die Qualität der vorgestellten Werke und ist ein Fingerzeig für die Güte des Programms, das Monika Rettig in ihrem dritten Jahr in Erfurt verantwortet.

So galt zunächst der Dank des Gastgebers ihrer Arbeit, ehe sich Felix Leibrock an die Exegese des diesjährigen Mottos machte. „Den Mutigen gehört die Welt?“, fragte er, um an Domenik Brunner zu erinnern. Der Manager hatte sich vor fünf Jahren auf einer Münchner U-Bahn-Station jugendlichen Schlägern in den Weg gestellt, die ihn wenig später zu Tode prügelten. Mutig war das, aber war es klug? Hätte er besonnener handeln müssen?

Das Schicksal Brunners führte zum ersten Buch. Dr. Dietmar Herz fand ausschließlich lobende Worte für Katja Petrowskajas Debüt „Vielleicht Esther“, mit der die gebürtige Kiewerin im vergangenen Jahr den Bachmann-Preis gewann. In der Runde war kein Widerspruch zur Meinung des Staatssekretärs im Thüringer Justizministerium zu hören sondern viel Anerkennung für eine Frau, die in der ihr zunächst fremden Sprache eine Meisterschaft erreicht hat, die „vielen Deutschen nicht gegeben ist“, wie Matthias Gehler anmerkte. Dirk Löhr unterstrich den aktuellen Bezug des Werkes, das auf die Spurensuche einer ausgelöschten Familiengeschichte geht. Das Buch zeige auf schmerzhafte Weise die brutale Auslöschung jüdischer Kultur in einem großen Teil Europas. Es helfe, die aktuellen Konflikte in der Ukraine ein wenig besser zu verstehen.

Ein besseres Verständnis für die Jahre der scheidenden DDR und die Gründe und Begleitumstände seiner Flucht aus dem ungeliebten Land im Sommer 1989 war mit eine Motivation für den gebürtigen Erfurter Olaf Hintze und seine „Tonspur“. Unisono würdigte das Quartett diese Intention, bemängelte aber einige Schwächen in der Ausführung. Unabhängig davon unterstrich Dirk Löhr noch einmal die Bedeutung dieses und ähnlicher Bücher für die Erinnerungskultur im Land – und bei der Bewältigung der vielen Fragen, die die völlig offene Regierungsbildung in Thüringen dieser Tage stellt.

Der Vorsitzende des Vereins „Erfurter Herbstlese“ stellte danach Judith Hermanns „Aller Liebe Anfang“ vor, und hatte es deutlich schwerer, dem Widerspruch des Podiums entgegenzutreten. Vor allem Felix Leibrock machte sich die teilweise schroffe Ablehnung des Feuilletons für den ersten Roman der 44-jährigen Berliner zu eigen und stellte sich ganz in die Linie der FAZ. Doch wenigstens Dietmar Herz sprang Autorin und Werk bei und argumentierte gegen die Reduktion des Buches als eine Geschichte über ein Stalking-Opfer. Immerhin verspreche das Buch am Ende einigen Grusel, den der Thriller „Der Hof“ vielleicht nicht so bieten könne.

Das vierte Buch des Abends war dann Sache von Matthias Gehler. Der Hörfunkchef von MDR-Thüringen würdigte das jüngste Werk von Erfolgsautor Simon Beckett als solide Unterhaltung. Dietmar Herz stellte es in eine Reihe mit den bisherigen Werken des Briten und hob vor allem seine – für einen Mann von der Insel durchaus bemerkenswert – deutliche Liebe zu Frankreich hervor. Felix Leibrock freute sich, dass ein international so anerkannter Autor den Weg nach Erfurt findet.

Wie im Vorjahr versuchte er sich dann mit einer kleinen Abstimmung zur Wahl des Buches, das die Besucher am ehesten lesen würden. Die deutliche Mehrheit der gehobenen Hände konnte – nicht ganz überraschend – Katja Petrowskaja für sich verbuchen. Gut möglich, das ihr Abend, für den es noch einige Karten gibt, nun eine noch größere Resonanz erfährt. Verdient haben es Autorin und ihr Werk allemal.

Das Literarische Quartett der Erfurter Herbstlese 2014

Bilder: Holger John

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