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Nov. 23 2023

Ein zauberhafter Herbstlese-Abend: Florian Illies trifft Caspar David Friedrich

Wie der Wind das Segel

Herbstlese-Dauerbrenner Florian Illies hatte heuer sein aktuelles Buch über Caspar David Friedrich mit zum Festival gebracht.
Herbstlese-Dauerbrenner Florian Illies hatte heuer sein aktuelles Buch über Caspar David Friedrich mit zum Festival gebracht.

Von Sigurd Schwager

„Zauber der Stille“ ist das Buch der Stunde. Auch Sonntagnacht in der ARD, wo Denis Scheck die druckfrischen Sachbuch-Top-Ten des Novembers begutachtet und dann zum krönenden Abschluss kommt: „Platz eins. Florian Illies: ‚Zauber der Stille‘. Entlang der vier Elemente Feuer, Erde, Wasser Luft schreibt Florian Illies in diesem ebenso gelehrten wie elegant erzählten Buch über das Leben, die Kunst und die Nachwirkung Caspar David Friedrichs, dem Maler der Sehnsucht. Ein hinreißendes Buch.“

Drei Tage später erfasst der „Zauber der Stille“ Erfurt. Das Herbstlese-Publikum strömt allerdings nicht wie geplant zum Haus Dacheröden, sondern weiter zum nahen Haus am Breitstrom mit seiner viel größeren Aula. Ein zwingend notwendiger Wechsel angesichts der Fülle des Ortes selbst hier. Man hört es in den Gängen, dass einige das Buch schon gelesen haben und merkt am euphorischen Begrüßungsbeifall, was die Leserschaft vom Autor und dessen Schreibkünsten hält; mindestens sehr viel.

Neben Florian Illies nimmt auf der Bühne mit Hanno Müller ein bestens vorbereiteter Moderator Platz. Der erfahrene Redakteur der „Thüringer Allgemeinen“ nähert sich dem Buch-Helden, indem er den einstigen Grisebach-Chef Illies zur aktuellen Winterauktion des Hauses befragt. Dort stehen jetzt im Kunstmarkt-Schaufenster auch Arbeiten von Caspar David Friedrich zum Verkauf: sein Karlsruher Skizzenbuch von 1804 für 1.000.000 bis 1.500.000 Euro, die alte Elbbrücke bei Meißen, Aquarell und Bleistift, für 200.000 bis 300.000 Euro und eine Bleistift-Wolkenstudie in bergiger Landschaft für 50.000 bis 70.000 Euro. Ob man denn, fragt Müller, das viele Geld, sofern man es überhaupt besitze, dafür ausgeben solle? „Unbedingt, wofür denn sonst?“ fragt Illies entschieden zurück. Man möge nur an andere Künstler denken, etwa den Dresdner Gerhard Richter, da sei das nun wirklich ein unglaublich geringer Preis.

Hanno Müller nickt einsichtig, wechselt die Perspektive und erinnert den Autor und Zeit-Herausgeber Illies an einen Zeit-Beitrag von Hanno Rauterberg, worin der Zeit-Kulturredakteur die Frage aufwirft, ob denn Caspar David Friedrich wirklich so groß sei, wie alle tun? Mit solchen Widerworten hat Illies offenbar kein Problem. Andererseits wirkt er null Komma null davon beeindruckt. Friedrich ist und bleibt für ihn nach Albrecht Dürer der bedeutendste deutsche Maler. Den Superlativ mal beiseite: Wer „Zauber der Stille“ liest, kann sich dem Sog des Erzählten kaum entziehen. Eine Buch gewordene Liebeserklärung.

Stellt sich unten im Saal dem Publikum wie oben am Tisch dem Moderator die Frage: Wie machen sie das nur, Herr Illies? Auch die geballte Buchkritik treibt das landauf, landab bewundernd um. Elke Heidenreich zum Beispiel liegt in der Süddeutschen dem Autor sogar wortwörtlich zu Füßen, nachdem sie dafür den Teppich aus Sätzen wie diesen gewebt hat: „So elegant, so leicht, so umfassend gebildet und belesen, ohne all das oder die natürlich auch gründlichen Recherchen heraushängen zu lassen (...). Diese raffinierte Querverbindung über zig Ecken und dieses lässig eingestreute ‚nun, ja‘ – das ist es, was die Bücher dieses Autors schier unwiderstehlich macht, keiner kann das so wie er. Ja, viel Information, aber immer so, dass es wie selbstverständlich wirkt.“

In Erfurt berichtet Illies von Trotz-Phasen auf seinem langen Weg zu Friedrich. Da sei so ein Gefühl gewesen wie bei Bach oder Goethe. Dass man als korrekter Deutsche einen solch bedeutenden Künstler zu lieben hat. „Aber irgendwann war ich dann doch hingerissen und habe gemerkt: Der ist nicht nur so gut, sondern noch viel besser.“ Seine Kunst, in der sein Leben verarbeite, habe etwas Magisches, Überwältigendes.

Illies blickt zum Bühnenhintergrund, wo großflächig ein Ölbild Friedrichs als Szenerie für den Buchumschlag zu sehen ist. Es zeigt von hinten ein auf dem Bug eines Seglers sitzendes Paar, das sich die Hand hält: der Maler und seine junge Ehefrau Caroline. Ein frisch vermähltes Glück. „Ich kann erst anfangen zu schreiben, wenn ich das Buch-Cover habe“, erläutert Illies. Dieses Werk Friedrichs sei genau das richtige, weil es für das Segeln seiner Bilder durch die Zeit stehe.

Logisch, dass der Prolog des Buches wie das Bild „Auf dem Segler“ heißt. Und logisch, dass Florian Illies damit in Erfurt den Vorlese-Teil eröffnet. „Es ist ein schöner Augusttag des Jahres 1818. Leuchtende Sonne, glitzerndes Meer. Am frühen Morgen sind sie beide in Wiek auf Rügen an Bord gegangen (...). Von Osten, von Rügens sanften Hügeln und den Hünengräbern aus tiefversunkener Zeit, weht ein warmer Wind herüber, der die Segel bläht, bis die Taue ihre Muskeln spannen. Oh, wie liebt er diesen Moment, wenn sich die großen Leinensegel plötzlich lauthals straffen und dann das Schiff auf magische Weise in Gang setzen. Hat eigentlich, so fragt er sich, der menschliche Geist je etwas Schöneres erdacht? Genauso will er es auch machen, wenn er zurück in Dresden ist, so unsichtbar den Stoff der Leinwand mit seinem Pinsel beleben wie der Wind das Segel.“

Allein schon für solche Zeilen muss man das Buch rühmen. Damit ist die Tonlage gesetzt, der man später beim Vortrag weiterer Kapitel-Ausschnitte lauschen kann. Dazu erfreuen das Auge Ablichtungen berühmter Bilder, sei es das Eismeer oder der Mönch am Meer, die spannenden Geschichten dahinter liefert der Autor.

Natürlich, wir sind in Thüringen, erörtern Illies und Müller, ausführlich das vergebliche Bemühen des Malers um die Zuneigung des Weimarer Dichterfürsten. Goethe wird die vielen Bilder, die ihm der hoffende Friedrich kistenweise zukommen lässt, zurückschicken. Hätte die Beiden damals zueinander gefunden, mutmaßt Illies, gäbe es heute in Weimar vielleicht das weltweit bedeutendste Friedrich-Museum.

Insgesamt gestaltet sich der Herbstlese-Abend zu einer anekdotenreichen Reise durch Friedrichs Welt und die seiner Bilder sowie deren Rezeption vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Dabei benennt der Autor als größte Stärke des Malers die Zeitlosigkeit seiner Kunst.  Sie biete keine Antworten, nur Fragen.

2024 feiert die Kunstwelt Friedrichs 250. Geburtstag mit großen Ausstellungen und neuen Katalogen. In der Geburtsstadt Greifswald und in Dresden, wo er 40 Jahre lebte und auf dem Trinitatis-Friedhof begraben ist, in Hamburg und in Berlin, in Winterthur und in Weimar, wo die Klassikstiftung einlädt. Lauter Aufsehen. Florian Illies freut sich auf das opulente Caspar-David-Friedrich-Jahr. Mit seinem „Zauber der Stille“ hat er selbst für einen zauberhaften Einstieg gesorgt.

In Erfurt gibt es für ihn zum Schluss langen, herzlichen Applaus, die obligate Schokolade sowie ein vom heimischen Künstler Karsten Kunert geschaffenes Illies-Porträt. „Das“, dankt der Autor sichtlich gerührt, „ist mit Abstand das schönste Geschenk, das ich jemals nach einer Lesung bekommen habe.“

Am Morgen danach wird der Berichterstatter beim Blick in die „Thüringer Allgemeine“ noch einmal in den gestrigen Herbstlese-Abend geholt. Links unten auf der Kulturseite präsentiert die Bücherstube Zeulenroda ihre neuen Bestseller der Woche. Mit „Zauber der Stille“ – auf der Belletristik-Liste. Wie bitte? Hat nicht gerade in Erfurt der Autor kundgetan: „Das bleibt ein Sachbuch, auch wenn ich die Grenzen ausreize. Die Fakten sind recherchiert. Ich bemühe mich aber, dass es die Leserschaft nicht merkt.“

Und doch dürfte ihm die schöne Platzierung gut gefallen. Selbstverständlich ist „Zauber der Stille“ belles lettres: schöne Literatur.

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