Ulrich Meyer in der Aula des Ratsgymnasiums
Woran es krankt im Land

Versprich nicht mehr, als du halten kannst. Im modernen Mediengeschäft wird diese alte Weisheit mehr und mehr gedehnt. In der Übertreibung liegt nun einmal die Anschaulichkeit, könnte man den alltäglichen Schrei nach Aufmerksamkeit wohlwollend beschreiben. Doch mehr und mehr Leser und Zuschauer von Zeitungen oder TV-Sendern bringen dieses Wohlwollen nicht mehr auf. Sie wenden sich von den klassischen Medien ab – und steigen damit oft auch aus demokratischen Prozessen wie Wahlen oder Bürgerbeteiligungen aus. Ein gefährlicher Trend.
Das weiß auch Ulrich Meyer. Als gelernter Zeitungsmann hat er das journalistische Handwerk von Grund auf gelernt. Beim Eintritt der Privaten in das deutsche Fernsehen war er zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle. Er macht Karriere, erst bei RTL, dann bei Sat 1. Seine Sendungen sind seit über zwei Jahrzehnten auf den Dienstagabend abonniert. Das Verbrauchermagazin „Akte“ wurde Ende 2014 zum 1000. Mal ausgestrahlt. Das kann sich auch im Wettbewerb mit dem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk sehen lassen.
Zum Jubiläum gönnte sich Ulrich Meyer ein Buch. Das haben sich er, seine Produktionsfirma und all die Mitarbeiter über die lange Zeit auch verdient. Inzwischen fungiert seine Redaktion wie eine Art Seismograph. Aus den tausenden Zuschriften und Anrufen setzen sich wie in einem großen Puzzle Stück für Stück die Schwierigkeiten zusammen, in denen das Land steckt. Bestes Beispiel die Flüchtlingskrise, deren erste Anzeichen die „Akte“ früh registrierte.
Es gibt andere Felder, auf denen die Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten in Deutschland immer offener zu Tage treten. All dieser Ärger mit skrupellosen Verkäufern, irrwitzigen Handy-Tarifen, fiesen Versicherungen und Behörden, die das Dienen an den Bürgern lange verlernt haben. All diese Geschichten zeigen, wo es krankt im Land.
Nur verbinden viele Leser den Buchtitel „Das läuft schief in unserem Land“ eher mit der Erwartung auf grundsätzliche Antworten auf all ihre Fragen. Sie fühlen sich von Ulrich Meyer, dem Verbraucherschützer im Fernsehen, ein wenig getäuscht. Auch während der Lesung in Erfurt hält es nicht alle auf ihren Sitzen, einige Zuhörer gehen weit vor der Zeit.
Es ist das alte Dilemma. Intelligente Antworten auf schwierige Fragen – und keiner möchte Ulrich Meyer das Bemühen darum absprechen – verlangen nach klugen Antworten. Die sind, wollen sie sich nicht in platter Ideologie verfangen, eben nicht in ein, zwei Hauptsätzen zu bekommen.
So versucht der Mann auf der Bühne des Ratsgymnasiums mit Eloquenz und Freundlichkeit sein Glück. Er misst sich auch an schwierigen Fragen und muss doch trotz einleitender Floskel „da haben Sie Recht“ oft im Ungefähren bleiben. So stimmt er einem älteren Herrn im Publikum durchaus zu, dass die versendete Realität all der kruden Nachmittagsprogramme des Privatfernsehens wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat. Warum so ein Mist dennoch mehr und mehr die Programme bestimmt, kann auch er nicht sagen.
Am besten, man flüchtet sich nach einem solchen Abend in das Vulgär-Philosophische: Das Glas der Erwartungen war nach gut 90 Minuten an abwechselndem Lesen, Vortrag und Reaktion auf die Fragen des Publikums mindestens halbvoll. Ulrich Meyers Schlusswort gerät fast schon zum glühenden Appell: Vieles wäre einfacher für alle, wenn doch nur der einzelne Mensch die Möglichkeiten seines Handelns und seiner Entscheidungen weiter fassen, er sich mehr trauen würde. Diese Sicht ist bestimmt aller Ehre wert.
Aber ob solch ein kollektives Umdenken den Realitätstest bestehen könnte? Es darf ein wenig gezweifelt werden. Die Sache erinnert an die ein, zwei Atomkraftwerke, die überflüssig wären, würden die Deutschen doch nur ihre Elektrogeräte richtig ausmachen und nicht im Stand-by heimlich eingeschaltet lassen. Alle Atommeiler werden jetzt eh abgeschaltet? Das stimmt. Und wenn Greenpeace auch noch die ostdeutsche Braunkohle-Sparte von Vattenfall kauft, besteht vielleicht doch noch Grund zur Hoffnung. Es sei denn, es handelt sich um ein Versprechen, das gar nicht gehalten werden soll.
Ulrich Meyer in der Aula des Ratsgymnasiums
Fotos: Holger John