Vorgestellt von Dr. Axel Schmidt, Rechtsanwalt und Literaturwissenschaftler
Saša Stanišić „Herkunft“

„Herkunft“ ist der vierte Roman des jugoslawischen (?) bosnischen (?) deutschen (?) Schriftstellers Saša Stanišić. Der Roman wirft eine Frage auf, die nicht nur in einem Europa mit weitgehend offenen Grenzen vielen gestellt wird: „Woher kommst du?“ Dem im ehemaligen Jugoslawien geborenen Stanišić fällt diese Antwort nicht leicht, er kam als Jugoslawe zur Welt, in einem Land, das es in dieser geographischen und staatlichen Form nicht mehr gibt. Er versucht diese Frage mit seiner eigenen Familiengeschichte zu beantworten und erzählt in einer Mischung aus Autobiographie und Roman, was Geburtsorte, Sprache und Familie für das Leben bedeuten.
Zumindest die Frage, worauf sich das „woher“ bezieht, fällt Saša Stanišić nicht leicht und bleibt wohl auch ihm unklar: „Auf die geographische Lage des Hügels, auf dem sich der Kreißsaal befand? Auf die Landesgrenzen des Staates?“ Eine eindeutige Antwort auf diesen Begriff gibt der Roman nicht.
Dem Autor erscheint es „rückständig, geradezu destruktiv, über meine oder unsere Herkunft zu sprechen in einer Zeit, in der Abstammung und Geburtsort wieder als Unterscheidungsmerkmale dienen, Grenzen neu befestigt wurden und so genannte nationale Interessen auftauchen aus dem trockengelegten Sumpf der Kleinstaaterei. In einer Zeit, als Ausgrenzung programmatisch und wieder wählbar wurde“.
„Herkunft“ definiert Stanišić weniger geographisch, wohl auch nicht politisch. Sie definiert sich vielmehr in den Erinnerungen als Kind im ehemaligen Jugoslawien, den Erinnerungen an seine Großmutter und an seine Jugend am Stadtrand von Heidelberg und dem Zusammentreffen mit anderen Jugendlichen an der Aral-Tankstelle.
Es sind die Orte, die für den Autor prägend waren, die Orte in seiner ehemaligen, politisch und staatlich nicht mehr existierenden Heimat spielen genauso eine Rolle wie die Rückblicke in seine Jugendzeit am Neckar. Sie gehen einher mit bestimmten Personen, seien es Schulkameraden an der Heidelberger Schule, vor allen Dingen mit seiner Großmutter Kristina. „Herkunft“ ist in erster Linie kein politisches Buch, sondern ein „Drachenhort“ möglicher Erinnerungen an die Jugend und Orte der Vergangenheit. Eine Antwort oder gar eine Definition des Begriffes der Herkunft will und braucht Stanišić nicht zu liefern. Der Leser ist eingeladen, seine eigene Definition zu suchen.
„Herkunft sind die süß-bitteren Zufälle, die uns hierhin dorthin getragen haben. Sie ist Zugehörigkeit, zu der man nichts beigesteuert hat.“ Sie ist persönlich und individuell. Es ist das Festhalten an etwas, das verschwindet. Im Leben von Saša Stanišić war dieses Verschwinden, bedingt durch die Geschichte, größer, bei anderen mag es kleiner sein.
Vorgestellt von Dr. Axel Schmidt, Erfurter Rechtsanwalt und Literaturwissenschaftler
Saša Stanišić „Herkunft“
Luchterhand Literaturverlag, 368 Seiten, Hardcover
ISBN: 978-3630874739
22,00 Euro
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