Vorgestellt von Anke Engelmann, Dozentin für Kreatives Schreiben
Ulrike Gramann „Meetchens Hochzeit"
In „Meetchens Hochzeit erzählt Ulrike Gramann von weiblicher Stärke und Solidarität, von ungeratenen „Meetchen" und der Kraft der „Häxen".
„Die Tür zur Welt stand offen, ich ging nicht hindurch". In der Erzählung „Meetchens Hochzeit" gibt die Literatur der Erzählerin Kraft, sich alten Verletzungen zu stellen. In einem Text aus dem 15. Jahrhundert entdeckt sie, „in der die Vergangenheit bohrt", die Geschichte von Meetchen. Von Gewalt gegen Frauen handelt sie und von Zorn, von weiblicher Stärke und Solidarität.
Ulrike Gramann hat das sperrige mittelhochdeutsche Epos „Der Ring" von Heinrich Wittenwiler auf die Ereignisse um die Bauerntochter Meetchen und ihre Liebesgeschichte mit Bertschi reduziert. Meetchen, das „ungeratene Kind". Die hässlich ist, wie die Leute sagen, mit ihrem Zopf, der wie ein Mäuseschwänzchen steht und nicht golden und dick herabhängt. Die vom Vater geschlagen und vom Arzt vergewaltigt wird, als er ihr, die nicht lesen und schreiben kann, Bertschis Liebesbrief vorlesen soll.
Die Geschichte entspinnt sich im Märchenton, klingend und manchmal ein bisschen raunend. Frau Märe kommt vor, Frau Venus sitzt hinterm Ohr, dem linken, dem heidnischen. Wie im Märchen sind die Namen der Personen und Orte typisierend: Meetchen („Mädchen"), der Schreiber, der Spielmann, die Kupplerin Frau Laichdenman und das Dorf Lappenhausen, „das die Welt ist", die „unterzugehen versprochen hatte".
Denn eine Welt, in der Männer Frauen Gewalt antun, hat keinen Bestand. Während Meetchen und Bertschi ihre Hochzeitsnacht auskosten, saufen die Bauern bis zur Besinnungslosigkeit und machen sich über die Frauen aus dem Nachbardorf her. Und weil die Männer aus Nissingen nicht eingreifen, denn ein Weib ist die geborene Sünderin und selbst schuld, übernehmen am Morgen die „Häxen". Sie versorgen die Verletzten mit Medizin und mit Waffen. Der Zorn der Frauen entfacht einen Krieg, der die alte Welt vernichtet, „und auch das ärmste Mädchen hilft sich selber, sobald sie das Beispiel einer Häxe erkennt."
Das Buch ist ein Fest für die Sinne: Die zarten Grafiken von Gudrun Tendrafilov strahlen eine dunkle Kraft und Energie aus. Papier, Schrift, Satz und sogar der Geruch: Alles stimmt. Ein wunderbares Buch, ansprechend und gut gemacht. Eines, das berührt und das man gern berührt. Eines, das man einer guten Freundin schenken möchte.
Vorgestellt von Anke Engelmann, Dozentin für Kreatives Schreiben
Diese Rezension erschien zunächst in der „Thüringer Allgemeine".
Ulrike Gramann „Mettchens Hochzeit"
Mit Zeichnungen von Gudrun Tendrafilov
edititon petit / Verlag Schumacher Gebler, 2020, 80 Seiten
16,00 Euro